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Konnte Platz eins noch retten: Sozialdemokrat Stefan Löfven.

Foto: Jonas Ekströmer /TT via AP

Es kommt eben auf die Perspektive an: Einerseits haben die schwedischen Sozialdemokraten bei den Parlamentswahlen am Sonntag mit 28,4 Prozent das schlechteste Ergebnis ihrer mehr als 100-jährigen Geschichte eingefahren. Andererseits hätte es auch noch viel schlimmer kommen können. Parteisekretärin Lena Rådström Baastad zeigte sich in der Wahlnacht daher nicht sonderlich betrübt: "In Europa bläst der Wind von rechts. Die Windrichtung ist nicht günstig, in Anbetracht dessen haben wir einen sehr guten Wahlkampf hingelegt."

Die große, alte Traditionspartei freute sich doch tatsächlich, nicht unter der 25-Prozent-Marke geblieben zu sein, wie von manchen Meinungsforschungsinstituten noch im Frühjahr vorhergesagt.

Lange vorbei sind die Zeiten, als ein Ergebnis knapp unter 50 Prozent eine Selbstverständlichkeit war. In der Nachkriegszeit waren die schwedischen Genossen und Genossinnen Vorreiter und Vorbild der Sozialdemokratie in ganz Europa. Sie bauten, unterstützt von einer fantastischen Konjunktur, einen Sozialstaat auf, der seinesgleichen suchte. "Der neue Industriestaat war von einem starken und gleichmäßigen Wirtschaftswachstum geprägt; vom Übergang von der Armutsgesellschaft zur Konsumgesellschaft; vom Ausbau des Wohlfahrtsstaates, der alle im Fall von Einkommensausfällen absicherte", schrieb der norwegische Geschichtsprofessor Francis Sejersted.

Kooperation statt Konfrontation

All dies geschah unter Vorzeichen, die Schweden auch heute noch prägen: Kooperation statt Konfrontation, Reform statt Revolution. Arbeit und Kapital, sprich Gewerkschaften und Arbeitgeber, verpflichteten sich bereits in den 1930er-Jahren, ihre tariflichen Konflikte konstruktiv und intern zu lösen. Sozialdemokraten und Bürgerliche waren sich grundsätzlich einig in ihrem Ziel, Schweden zu einer modernen Industrienation zu machen.

Mit der Wirtschaftskrise der 1970er-Jahre begann der Abstieg. 1976 wurde mit Thorbjörn Fälldin von der Zentrumspartei erstmals seit 44 Jahren kein Sozialdemokrat Ministerpräsident.

In Schweden ist nach der Wahl gestern eine politische Pattisituation eingetreten.
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Der internationale Star der schwedischen Sozialdemokraten, Olof Palme, eroberte 1982 die Regierungsmacht zurück. Mit Ingvar Carlsson, Göran Persson und zuletzt Stefan Löfven stellten die Sozialdemokraten auch später noch den Regierungschef. Doch schon Persson leitete zehn Jahre lang eine Minderheitsregierung. In Schweden ist das nicht unüblich. Das System funktionierte, solange die Parteien sich nicht zu Blöcken zusammenschlossen, sondern themenbasiert abstimmten.

Dieser Praxis schoben jedoch die vier bürgerlich-liberalen Parteien einen Riegel vor, als sie 2006 die "Allianz" gründeten. Seitdem halten sie zusammen. Immer wieder hat Löfven versucht, den bürgerlichen Block aufzubrechen – ohne Erfolg. "Blockpolitik ist verdummend, wir sollten sie endlich beerdigen", rief er denn auch nach der Wahl am Sonntag. Doch umgekehrt ist auch er nicht bereit, sein linkes Lager, bestehend aus seinen Sozialdemokraten, den Grünen und der Linkspartei, zu verlassen.

Arbeiter sympathisieren mit Schwedendemokraten

Das kreiden ihm viele als Machtbesessenheit an. So schreibt die Tageszeitung "Dagens Nyheter" an seine Adresse gerichtet: "Die Tage des Machtmonopols sind vorbei – für immer."

Die Sozialdemokraten blieben zwar stärkste Partei, verloren am Sonntag aber Stimmen an die globalisierungskritische Linkspartei, vor allem aber an die nationalistischen Schwedendemokraten. Besonders bei den Gewerkschaften bröckelt die Unterstützung. Immer mehr Arbeiter sympathisieren mit der Partei von Jimmie Åkesson. Der Strukturwandel hat zudem das Selbstbild von der industriellen Großmacht Schweden zunichtegemacht. Und die Schwedendemokraten bieten da eben eine neue Identität an.

Typisch ist aber vielleicht auch, dass die Sozialdemokraten bei den ebenfalls stattfindenden Regionalwahlen erstmals seit 84 Jahren in der nordschwedischen Region Norrbotten nicht mehr an der Macht sind: Die "Partei des Gesundheitswesens" gewann. Die Leute kritisieren, dass viele Serviceleistungen nicht mehr funktionieren. Der Weg zum nächsten Krankenhaus ist oft nicht weniger als 150 Kilometer lang. "Wir können hier ein klares Muster feststellen", sagt Simon Matti, Politikprofessor an der Technischen Universität Luleå. "Auf Provinz- und Gemeindeebene verlieren die Sozialdemokraten sehr deutlich."

Doch Löfven gibt nicht auf. "Wir tun das, was wir immer getan haben: Wir trauern nicht, wir organisieren uns", erklärte er in der Wahlnacht. Von neuen Ideen sagte er nichts. (Karin Bock-Häggmark aus Stockholm, 10.9.2018)