Es war ein lauer Sonntagabend am Villette-Kanal des Pariser Quai de la Loire, als ein junger Mann mit Messer und Eisenstange wahllos die letzten Flaneure des Wochenendes angriff. Eine Frau war beim Picknicken, ihr Freund war gerade Zigaretten holen gegangen. Die 41-Jährige berichtete, sie habe ein Geräusch gehört und, kaum habe sie sich umgedreht, einen starken Schlag mit einer Eisenstange auf den Kopf erhalten. Es gelang ihr, davonzurennen und hinter einem Kino, wo sich viele Leute versteckten, die Polizei zu rufen.

Der Täter griff derweil Passanten mit seinem Messer an, stach mehrere nieder. Pétanquespieler versuchten den Täter zu stoppen, indem sie ihre schweren Eisenkugeln nach ihm warfen, doch er setzte seinen Amoklauf fort und verletzte zwei britische Touristen mit Messerstichen schwer.

In einer Seitenstraße wurde der Täter schließlich gestoppt. "Er sagte nichts, auch als wir ihn gepackt hatten", sagte ein Anwesender zur Lokalzeitung "Le Parisien". "Auch als ihn andere fragten: 'Warum hast du das getan?', gab er keine Antwort. Er schien auf Drogen zu sein."

In keiner Terrorkartei

Die Bilanz: sieben Verletzte, vier zum Teil lebensgefährlich. Bei dem Täter handelt es sich dem Vernehmen nach um einen 31-jährigen Afghanen aus Jalalabad. Da sein Name offenbar in keiner Terrorkartei aufscheint, wurde die Ermittlung der Kriminalpolizei und nicht den Antiterrorbehörden anvertraut – auch wenn Letztere die Angelegenheit "aus nächster Nähe verfolgen" wird, wie es inoffiziell hieß.

Anders als in Deutschland sorgt der Umstand, dass es sich bei dem Täter um einen Flüchtling handeln dürfte, kaum für Reaktionen rechtsextremer Kreise oder Parteien. Eher sorgt der Umstand für Gespräche, dass der Messerstecher als Crack-Konsument bekannt gewesen sein soll. Anrainer klagten am Montag über die grassierende Unsicherheit in dem Viertel im 19. Stadtbezirk. Entlang der Boulevards und entlang des Kanals entstehen immer wieder wilde Zeltlager von Migranten. Bei der Metrostation Stalingrad wird auch tagsüber mit harten Drogen gehandelt.

Ob Terroranschlag oder nicht – das werde zunehmend unklar, erklärte am Montag ein Anwohner des Quai de la Loire. "Ein solcher Gewaltausbruch war aber abzusehen. Die Lage verschlechtert sich täglich, ohne dass die Polizei einschreitet." Auch in Internetkommentaren verschwimmen immer mehr die Grenzen zwischen eigentlichen Terrorattentaten, Amokläufen offenbar Verrückter oder Drogenabhängiger auf einem Trip. Diese Sicht der Dinge verstärkt sich in der französischen Öffentlichkeit seit mehreren Monaten merklich.

Im Mai griff ein tschetschenischer Staatsbürger Passanten im Opéra-Viertel an. Er erstach einen Fußgänger und verletzte vier weitere und rief "Allahu Akbar". Die Islamistenmiliz IS reklamierte die Tat umgehend für sich. Zur Überraschung der Ermittler übernahm der IS aber auch im August die Verantwortung für einen offensichtlich familiär motivierten, mit einem Messer begangenen Doppelmord in Trappes bei Paris.

Häufung von Messerangriffen

Ebenfalls im August verletzte ein Mann vier Frauen mit Messerstichen in Périgueux (Zentralfrankreich). Im Juli wurde in einem Pariser Bus ein einsteigender Radfahrer von einem 50-Jährigen erstochen. In Melun fiel ein Mann einen Polizisten bei einer Kontrolle mit einem Messer an. In Toulon (Südfrankreich) griff eine Frau mit einem Kopftuch in einem Supermarkt Kunden mit einem Messer an, wobei auch sie "Allahu Akbar" rief; die Ermittler gehen allerdings nicht von einer Terrortat, sondern einer psychiatrischen Störung aus.(Stefan Brändle aus Paris, 10.9.2018)