Umschlag des 1922 in Warschau erschienenen jiddischen Kinderbuches "Jingl Zingl Chwat". Das Buch von Mani Lejb wurde vom Salzburger Jiddisten Armin Eidherr übersetzt: "Jüngel Züngel Keck".

Foto: Kultur-Liga Warschau / Repro Eidherr

Das Projekt ist ehrgeizig: "In Summe sollen es Einträge zu rund 25.000 Stichwörtern werden", sagt Armin Eidherr. Gemeinsam mit zwei Mitarbeitern aus dem Kreis der Studierenden arbeitet der Germanist und Jiddist an einem eigenen Wörterbuch Jiddisch/Deutsch.

Armin Eidherr forscht und lehrt im Fach Jiddistik am interdisziplinären Zentrum für jüdische Kulturgeschichte an der Universität Salzburg. Die einzige akademische Einrichtung in Österreich für Jiddistik, wie Eidherr betont. In Salzburg gibt es sogar Sprachkurse. Vier Semester lang kann man Jiddisch lernen. Rund 20 Studenten und Studentinnen pro Kurs und Semester würden das Angebot annehmen, sagt Eidherr.

Das Jiddisch des Habsburgerreiches

Das geplante Jiddisch-DeutschWörterbuch beschäftigt den Literaturwissenschafter nun schon gut ein Jahr. "Wir haben etwa 15 bis 20 Prozent zusammen." Das Werk ist corpusbasiert geplant. Das heißt, es widmet sich einem bestimmten Kulturkreis, in diesem Fall dem speziellen österreichischen Jiddisch in den historisch-kulturellen Zentren der ehemaligen Habsburgermonarchie.

"Es ist eine der letzten Möglichkeiten, das spezielle Jiddisch des Habsburgerreiches auf lexikaler Ebene zu bewahren", sagt Eidherr. Historisch gesprochen handelt es sich um das moderne Jiddisch der vergangenen 200 Jahre. Altjiddisch hingegen wurde von den mittel-, nord- und osteuropäische Juden früher, also parallel zum Mittelhochdeutschen oder Altfranzösischen, gesprochen.

Basis des Wörterbuchs aus Salzburg sind rund 20 Werke in jiddischer Sprache. "Diesen ganzen Wortschatz pulvern wir da hinein", erklärt Eidherr. Wobei das Wörterbuch nicht bloß eine minimalistische Übersetzung beinhalten wird, sondern auch Synonyme, regionale Idiome, Sprichwörter und Ähnliches mehr berücksichtigen soll.

Jiddische Diaspora

Als Beispiel für eine der Quellen nennt Eidherr Isaac Schreyer. Der 1890 in der Bukowina geborene Lyriker habe auch die Märchen der Gebrüder Grimm vom Deutschen ins Jiddische übersetzt. Gemeinsam mit originärer Literatur, einigen Zeitungen und ähnlichen Schriftstücken ergebe sich "ein verlässlicher Grundstock" für ein Wörterbuch, sagt Eidherr.

Wobei die Lebensgeschichte von Schreyer exemplarisch für das Schicksal vieler Jiddisch sprechender Menschen ist. Wer irgendwie konnte, ist vor den Nationalsozialisten geflohen. Schreyer flüchtete über Großbritannien in die USA, wo er 1948 verstarb. Die Mehrheit jener, die die Flucht nicht geschafft haben, wurden von den Nazi-Schergen ermordet.

Der Holocaust hat die Zahl der Jiddisch sprechenden Menschen dramatisch reduziert. Etwa zwei Millionen Menschen können die Sprache noch. Fluchtbedingt liegt das Zentrum heute in den USA und hier vor allem in New York. Im Yiddish Book Center von Amherst (Massachusetts ) sind inzwischen schon etwa 12.000 jiddische Titel digital abrufbar vorhanden. Zu den Großsponsoren der Einrichtung gehört auch der Regiestar Steven Spielberg.

In Moldau, aber auch in Israel werde ebenfalls noch Jiddisch gesprochen, berichtet Eidherr. Dort aber fast nur noch von älteren Leuten.

Sprache des Schtetls

Dass für viele Österreicher und Österreicherinnen das Jiddisch irgendwie vertraut klingt, zeigt die enge kulturelle Verflechtung zwischen jüdischer, slawischer und deutscher Kultur. So sei auch das Jiddisch als Sprache des mittel- und osteuropäischen Schtetl entstanden, erläutert Eidherr: Basis ist Mittelhochdeutsch, die Grammatik kommt aus dem Slawischen, die Schrift wiederum ist hebräisch. Knapp nach der Jahrhundertwende sollte Jiddisch dann sogar die offizielle "Staatssprache" der Juden werden, wurde aber letztlich dann vom Hebräischen abgelöst.

Die Vertrautheit mit dem Klang rührt aber auch von den vielen Lehnwörtern her, die gerade in Ostösterreich aus dem Jiddischen entnommen worden sind und bis heute in unserem Sprachschatz bestehen. Die Mischpoche als abwertender Begriff für Familie beispielsweise sei so ein typischer Jiddismus, nennt Eidherr ein Beispiel. Wobei die negative Konnotation, die das Wort im Jiddischen nicht hat, gar nicht auf den Antisemitismus zurückzuführen sein dürfte, meint er. Nachdem der Begriff Familie bereits im Deutschen vorhanden war, habe sich eben die Wortbedeutung verändert.

Im Jiddisch-Deutsch-Wörterbuch wird die Mischpoche sicher vorkommen. So die Forschungsarbeit finanzierbar ist. Das bisher geschaffte Fünftel wurde mit Unterstützung des Zukunftsfonds erstellt. Für die noch notwendigen drei Jahre wollen Eidherr und das Institut für jüdische Kulturgeschichte den Wissenschaftsfonds FWF gewinnen: Die Bewahrung des österreichischen Jiddisch sei schließlich "eine nationale Aufgabe". (Thomas Neuhold, 16.9.2018)