Dieser Artikel erscheint im Rahmen einer Porträtserie zum Thema "Handwerk".

"In gewisser Weise bin ich Archäologin. Wenn man sich mit dem Innenleben eines 100 Jahre alten Sessels beschäftigt, gleicht das einer Zeitreise. Man studiert gespannt, wie das Möbel konstruiert wurde, und kommt dem Menschen näher, der es seinerzeit erschaffen hat.

Dadurch entsteht durchaus eine Art Beziehung zu Handwerkern aus längst vergangenen Tagen. Ich versuche, in meiner Werkstatt im fünften Bezirk ein Möbel so wiederaufzubauen, dass es seinem Original so nahe wie möglich kommt. In meiner Arbeit beschäftige ich mich mit Holz, Polsterung, Federung und natürlich mit vielen Stoffen. Das ist eine Wissenschaft.

Bereits die Vorfahren von Ida Divinzenz waren Tapezierer. Das Erkunden des Innenlebens alter Möbel vergleicht sie auf gewisse Weise mit Archäologie.
Foto: Nathan Murrell

Eigentlich komme ich aus der bildenden Kunst, ich habe nach der Modeschule in Linz Bildhauerei in Berlin-Weißensee und anschließend an der Akademie der Bildenden Künste in Wien studiert. Wahrscheinlich war ich die einzige Bildhauerin, die die Verarbeitungstechniken von Textilien und Leder beherrschte.

Doch offensichtlich sind meine Tapezierergene stärker als die bildende Kunst. Das wird wohl daran liegen, dass schon mein Urgroßvater, mein Großvater und mein Vater als Tapezierer werkten.

Tapeziererin Ida Divinzenz schafft über das Innenleben alter Möbel eine Art Beziehung zu Handwerkern längst vergangener Tage.
Foto: Nathan Murrell

Ich bin in der Nähe von Amstetten in dem Haus, in dem ihre Werkstatt untergebracht war, aufgewachsen. Dadurch war mir dieses Handwerk immer sehr nahe. Und ich ihm. Schon als Kind hab ich spielerisch mitgeholfen, durfte mitten im Geschehen sein. Ich erinnere mich gut und gerne an diese Zeit.

So wie der Bildhauer in seiner Arbeit beschäftige ich mich mit Formensprache. Auch das Tapezieren ist eine Form von Kunst, ein Metier, das Formen adaptiert und erweitert. Vor allem das Spannungsfeld zwischen Moderne und Vergangenheit führt zu erstaunlichen Ergebnissen.

Foto: Nathan Murrell

Normalerweise kommt die Kundschaft mit recht betagten Möbelstücken zu mir, die ältesten stammen aus der Zeit des Rokoko. Vor kurzem habe ich ein riesiges Sofa von Josef Hoffmann restauriert. Ich schätze es auf die Zeit zwischen 1914 und 1917. Es ist verblüffend, welche einzigartige Handwerkskunst sich einem offenbart, wenn man so ein Objekt öffnet – einfach unglaublich, wie man weiches Material in eine solche Fasson bringen kann.

Erweiterung des Körpers

Den Boom in Sachen Handwerk spüre ich neben der Auftragslage an der wachsenden Zahl der Anmeldungen für meine Tapezierkurse.

Ich habe den Eindruck, dass die Leute Sehnsucht danach haben, über alte Möbelstücke aus der Familie eine Beziehung zur Vergangenheit herzustellen, sozusagen die Geschichte mit den Händen fortzusetzen und Dinge zu beseelen. Natürlich geht es auch vielen darum, etwas mit ihren eigenen Händen zu erschaffen und das Innenleben von Dingen zu verstehen. Das gelingt bei einem iPhone wohl kaum. Unsere Zeit ist so wenig haptisch, die meisten Oberflächen sind so glatt.

Foto: Nathan Murrell

Hinzu kommt, dass Sitzmöbel viel mehr als andere Objekte zu einer körperlichen Erweiterung werden. Sitzen ist eine Mischung aus Stehen und Liegen, ein Zwischending aus Mobilität im Geiste und Ruhe des Körpers.

Natürlich sitze ich durch meine Profession anders und sehr bewusst. Ich bin auch Mitglied in der Wiener 'Sitzgruppe'. Bei dieser Initiative geht es darum, Architekten und Designern einen bewussteren Zugang zum Sitzen zu vermitteln. Das täte auch anderen gut. Schließlich sitzen wir eine ganze Weile unseres Lebens." (Michael Hausenblas, RONDO, 14.9.2018)

Foto: Ida Divinzenz