Bremerhaven – Niemand kann derzeit genau beziffern, wie stark die Konzentrationen von Treibhausgasen in Zukunft noch steigen werden. Das Problem ist vor allem, dass etwa Kohlendioxid nicht ausschließlich vom Menschen durch die Verfeuerung fossiler Brennstoffe freigesetzt wird. Gefürchtet wird insbesondere die sich selbst verstärkende Wechselwirkung von Erwärmung und Freisetzung immer weiterer Mengen an Kohlendioxid aus natürlichen Quellen. Um besser abschätzen zu können, ob und wie solche Entwicklungen tatsächlich möglich sind, blicken Klimawissenschafter in die Vergangenheit, um Spuren solcher Ereignisse zu finden.

Internationalen Forschern ist es nun gelungen, ein solches Phänomen für die arktischen Permafrostböden nachzuweisen. Wie die Autoren im Journal "Nature Communications" berichten, konnten sie durch Untersuchungen vor der Küste des Ochotskischen Meeres im Osten Russlands feststellen, dass vor mehreren Tausend Jahren aus Permafrostböden in der Küstenregion große Mengen an Kohlendioxid freigesetzt wurden – und dass die Ursache dafür der Meeresspiegelanstieg gewesen ist.

Tauender Permafrostboden könnte in Zukunft für mehr Treibhausgas-Freisetzungen sorgen als bisher gedacht.
Foto: Guido Grosse /Alfred-Wegener-Institut

Kohlendioxid aus uralten Pflanzenresten

Beim Permafrost handelt es sich um Böden, die ganzjährig bis zu mehrere Hundert Meter tief gefroren sind, einige davon seit der letzten Eiszeit vor rund 20.000 Jahren oder sogar noch länger. Diese Böden konservieren wie eine Kühltruhe riesige Mengen abgestorbener Biomasse, vor allem aus Pflanzen. Taut der Permafrost auf, werden Bakterien aktiv, die die uralte Biomasse abbauen und durch ihren Stoffwechsel die Treibhausgase Kohlendioxid und Methan freigeben.

Bekannt ist heute, dass es vor rund 11.500, 14.600 und 16.500 Jahren jeweils zu einem deutlichen und raschen Anstieg der Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre kam. Die Ursachen für die drei schnellen Schwankungen sind bisher kaum verstanden. Um nach diesen Ursachen zu fahnden, machten sich die Wissenschafter um Maria Winterfeld und Gesine Mollenhauer vom Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) auf ins Ochotskische Meer.

Ursprünglich hatten die Forscher angenommen, dass damals der riesige Fluss Amur sehr große Mengen pflanzlichen Materials aus dem Hinterland ins Meer getragen hat, das im Wasser von Mikroorganismen zu Kohlendioxid abgebaut worden ist. Daher haben sie Sedimentproben am Grunde des Ochotskischen Meeres genommen und diese untersucht. Die Ergebnisse waren überraschend: Tatsächlich konnte das Team tief in den Sedimenten Nachweise auf pflanzliche Überreste finden, die sich am Grunde des Meeres abgelagert haben. Diese waren viele Tausend Jahre älter als die Ablagerungen in der Umgebung.

Permafrostexperten vom AWI untersuchen die erodierende Küste auf der sibirischen Insel Sobo-Sise im östlichen Lena-Delta.
Foto: Guido Grosse /Alfred-Wegener-Institut

Schmelzwasserpulse ließen den Meersspiegel steigen

Damit war klar, dass sie aus sehr altem Permafrostboden stammen mussten, der aus irgendeinem Grund plötzlich aufgetaut war. Besonders viele dieser alten Pflanzenreste wurden vor 11.500, 14.600 und 16.500 Jahren ins Meer gespült. Der Amur jedoch zeigte zu diesen Zeiten keine deutlich erhöhten Abflussraten. Mollenhauer und ihre Kollegen fanden die Lösung beim Blick auf die Veränderung des Meeresspiegels seit der letzten Eiszeit. Insbesondere vor rund 11.500 und 14.600 Jahren kam es durch größeres Abschmelzen der großen Eisschilde an Land zu sogenannten Schmelzwasserpulsen.

Zu dieser Zeit stieg der Meeresspiegel innerhalb weniger Jahrhunderte um jeweils bis zu 20 Meter an. "Wir gehen davon aus, dass dadurch die Permafrostküsten am Ochotskischen Meer und rund um den Nordpazifik sehr stark abgetragen wurden. Ein Phänomen, das wir auch heute in der Arktis beobachten," so Mollenhauer. Damit gelangten große Mengen Jahrtausende alter Pflanzenreste ins Meer, die teilweise von Bakterien zu Kohlendioxid abgebaut wurden oder sich am Boden des Meeres ablagerten.

An manchen Stellen zieht sich die Permafrostküste in der Arktis (im Bild ein Küstenabschnitt auf der sibirischen Bykovsky-Halbinsel) 20 Meter pro Jahr ins Inland zurück.
Foto: Boris Radosavljevic, Alfred-Wegener-Institut

50 Prozent CO2 aus arktischem Permafrost

Um herauszufinden, ob ein solcher Abtrag von Permafrost tatsächlich wesentlich zu einem Anstieg der globalen Kohlendioxidkonzentration beigetragen haben könnte, simulierte ihr AWI-Kollege Peter Köhler mithilfe eines Computermodells des globalen Kohlenstoffkreislaufes die Situation. Er schätzte die wahrscheinliche Größe der Permafrostfläche ab, die damals ans Meer verloren ging, und erhielt so Zahlen über die Menge an Kohlendioxid, die seinerzeit mutmaßlich freigesetzt wurde. Die Ergebnisse lassen aufhorchen. Vor 11.500 und vor 14.600 Jahren dürfte der Abtrag an arktischem Permafrost rund 50 Prozent zur Kohlendioxidzunahme beigetragen haben, vor 16.500 Jahren immerhin zu einem Viertel.

Damit haben die Wissenschafter einen Prozess aufgedeckt, der künftig tatsächlich Realität werden könnte. Schon heute bricht die Permafrostküste in der Arktis immer stärker ab, weil es dort immer wärmer wird – an manchen Stellen zieht sich die Küste 20 Meter pro Jahr ins Inland zurück. Mollenhauer: "Diese Küstenerosion ist nach dem, was wir jetzt herausgefunden haben, eine nennenswerte Größe, die in Klimamodellen bislang aber nicht ausreichend berücksichtigt ist. Solche Effekte sollten künftig unbedingt in die Modelle einfließen." (red, 12.9.2018)