Sabine Haupt, Fabian Krüger, Nicholas Ofczarek und Dörte Lyssewski (v. li.) in "Mephisto" am Burgtheater.

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Dieser Abend will viel. Er will das Porträt eines Mannes zeichnen, der sich von der Macht korrumpieren lässt. Der Karriere und der Eitelkeit wegen. Er will aber auch die Beziehung zweier Männer skizzieren, die sich nicht entscheiden können, ob sie Konkurrenten oder Freunde, Polit-Gegner oder Bettgenossen sind. Und als wäre das nicht genug, möchte dieser Mephisto am Wiener Burgtheater auch noch eine Warnung in die Welt hinausrufen: vor Entwicklungen, die schneller als erwartet kippen könnten.

Daniel Kehlmann hat zum Saisonstart an der Wiener Josefstadt ein Stück zur Uraufführung gebracht, das klare Parallelen zwischen 1939 und 2018 zieht. An der Wiener Burg wird dieser Gedanken jetzt breiter ausgewalzt: indem man mit den theatralischen Mitteln der Gegenwart die Stationen einer Zeitenwende durchläuft. Fast forward, versteht sich. Oder anders gesagt: unter besonderer Berücksichtigung der Netflix-Serie "Babylon Berlin".

Der Roman, der auf die Bühne gewuchtet wird, zeichnet sich nicht durch seine schlanke Komposition oder übertriebene Reduktion aus. Als Klaus Mann 1936 den Aufstieg eines Provinzschauspielers zum Intendanten des wichtigsten Theaters Deutschlands, des Staatlichen Schauspielhauses, in einen Schlüsselroman presste, tat er dies mit dem Furor des politisch Empörten und persönlich Beleidigten. Hinter Hendrik Höfgen war unschwer Gustaf Gründgens zu erkennen: Klaus Manns ehemaliger Schwager und Regisseur eines seiner Stücke, Protegé von Hermann Göring und dessen Frau Emmy.

Zum Klischee gewordene Mephisto-Maske

Ein Schriftsteller und ein Schauspieler, beide homosexuell, beide um Anerkennung ringend. Ihr Verhältnis zueinander interessiert Regisseur Bastian Kraft in seiner Spielfassung beinahe genauso sehr wie die Typologie eines Spielers, eines Schauspielers. Eines biegsamen, verbiegsamen, verdreh- und vereinnahmbaren Karrieristen, den Nicholas Ofczarek von Beginn an mit der zum Klischee gewordenen Mephisto-Maske spielt. Die steil nach oben gezogenen Augenbrauen im weiß geschminkten Gesicht waren in der Vor- genauso wie in der Nachkriegszeit das Markenzeichen von Gründgens Teufelsdarstellung, in die Welt hinausgetragen wurde es 1981 schließlich durch Klaus Maria Brandauers Titelrolle in István Szabós oscarprämierten "Mephisto"-Film.

Daran knüpft man am Burgtheater an. Und zwar vom ersten Moment an, an dem Ofczarek auf dem riesigen Laufband, das in der Bühnenmitte thront (Bühne: Peter Baur), erscheint. Da ist kein Provinzschauspieler, der erst in seine Rolle hineinwachsen muss, die Rolle hat diesen Hochseiltänzer bereits im Griff. Unter sich der schnöde Alltag einer kleinbürgerlichen Welt, über sich der schillernde Glanz eines dem Alltag enthobenen Lebens. Der famose Ofczarek greift danach, aus dem molligen Höfgen wird eine Primaballerina, die genauso mit den Hüften wie mit den Geldscheinen wedelt. Es ist eine Rolle, in der Ofczarek vieles von der Verwandlungskunst ausspielen kann, die er so meisterhaft beherrscht. Und in die er dennoch erst so richtig nach der Pause hineinwächst.

Aber das ist ein grundsätzliches Problem dieser Inszenierung. Wie so oft bei Dramatisierungen wird auch hier der Autor des Romans als Figur auf die Bühne geholt. Als Erzähler, aber auch als Höfgens Widersacher. Im weißen Leinenanzug steht der Schauspieler Fabian Krüger da, ein nervöses, klappriges Wesen mit besonderer Liebe zu Kunstpausen, die Schreibmaschine zur Linken, die mondäne Schwester mit onduliertem Haar (Dörte Lyssewski) zur Rechten. Die Schlüssellochperspektive des Klaus Mann wird dadurch noch einmal erweitert um das von Mythen umrankte Verhältnis des Autors zu seinen Figuren. Liebhaber biografischer Details dürfen sich die Hände reiben, als Spielmacher funktioniert die Figur aber genauso wenig wie als libidinöser Widersacher. Darunter leidet der gesamte erste Teil des dreieinhalbstündigen Abends. Obwohl das Laufband rennt, die Bühne rotiert, die Schlagzeugerin (Judith Schwarz) trommelt und die LED-Wände flackern, findet Bastian Kraft keinen Rhythmus.

Queere Ästhetik

Dabei ist genau das die Spezialität dieses jungen Regisseurs. Mit dem Dorian Gray (mit Markus Meyer) hat der ehemalige Regieassistent vor einigen Jahren einen Hit gelandet, der vom kleinen Vestibül ins ungleich größere Akademietheater übersiedeln durfte, mit seinem Ludwig II. (wieder Markus Meyer, diesmal in fast allen Rollen) sein Talent für schnelle, multimediale, aber dennoch auf Schauspieler basierende Arbeiten bekräftigt. Es ist eine queere, schwülstige, manchmal beinahe Camp-artige Ästhetik, die Kraft nun erstmals auch auf der großen Bühne des Burgtheaters einsetzt. Die dunkelhäutige geheime Liebhaberin aus der Buchvorlage wird bei ihm von einem Strichjungen im Glitzer-Negligé ersetzt (Simon Jensen), die Starschauspielerin (Sylvie Rohrer) haucht mit ihrer wunderbar tiefen Stimme eine Version von Lady Gagas "Applause".

Krafts Deutschland vor der Machtergreifung ist glitzernd und schnell und voller Hosenanzug- und Flapper-Dress-Klischees. Eine Tiefe bekommt diese Welt aber erst, wenn sich Ofczarek nach der Pause im purpurroten Teufelsornat in den Fängen der Macht verstrickt. Der Opportunist Höfgens ist auch Hilfeleister, Unterschlupfgeber, Aus-dem-Gefängnis-Befreier. In Martin Reinke als einem dicken, knarzenden Göring hat er jetzt endlich einen würdigen Gegenspieler. Das Schwarz-Weiß von Ofczareks Knackwurst-Outfit wird von einem in tausenden Rottönen changierenden Bonbonjäckchen überlagert. So simpel, wie manche Analogien funktionieren, ist die Welt eben nicht. (Stephan Hilpold, 12.9.2018)