Theresa May stellte sich am Mittwoch im Parlament den Fragen der Abgeordneten.

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Jacob Rees-Mogg vertritt die Brexit-Ultras in der Tory-Fraktion.

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Im Sommer war in London viel vom No-Deal-Brexit die Rede, wie der chaotische Austritt Großbritanniens aus der EU beschönigend genannt wird. Kaum blasen die ersten Herbststürme über die Insel, hat sich auch der politische Wind gedreht. Mehrere Faktoren begünstigen Premierministerin Theresa Mays Vorstellungen über die Austrittsvereinbarung mit Brüssel: Die Brexit-Ultras zeigen Schwäche, vom Kontinent kommen ermutigende Signale, die EU-Freunde können sich auf keine gemeinsame Strategie einigen.

An diesem Donnerstag ruft die Regierungschefin ihr Kabinett zu einer Sondersitzung zusammen. Die Tagesordnung besteht aus einem einzigen Thema: No Deal. Nachmittags will der zuständige Minister Dominic Raab auch das Parlament darüber unterrichten, wie sich Gesellschaft und Unternehmen auf das Chaosszenario vorbereiten sollen.

Dabei sind sich, bis auf wenige Fanatiker, auf beiden Seiten des Kanals alle einig: Eine Verabredung muss her. Wenn beide Seiten "realistisch" vorgehen, gab EU-Chefunterhändler Michel Barnier zu Protokoll, könne man den Austrittsvertrag binnen acht Wochen abschließen. Das wäre genau rechtzeitig zum Brexit-Sondergipfel, der für den 13. November geplant ist.

Umstrittener Chequers-Kompromiss

Zuvor darf May am Donnerstag in Salzburg um die Sympathie ihrer 27 EU-Kollegen werben. Zur Debatte steht ein Kabinettskompromiss, der im Juli bei einer Klausurtagung auf dem Landsitz der Premierministerin in Chequers entstand. In dem Chequers-Papier ist von einem engen Assoziationsstatus Großbritanniens gegenüber der EU die Rede; unter anderem will London die Brüsseler Regeln für den Warenverkehr übernehmen, hingegen bei Dienstleistungen eigene Wege gehen. Das wird zwar von Barnier als britische Rosinenpickerei abgetan. Ausdrücklich aber wehrte sich der Chefverhandler gegen den in London kolportierten Eindruck, er habe die Chequers-Vorschläge für "tot" erklärt.

Offenbar soll Barnier in Salzburg ein neues Verhandlungsmandat erhalten, das ihm größere Flexibilität einräumt und damit die Erfolgschancen erhöht. May und ihre Minister betonen bei jeder Gelegenheit, weitere Kompromisse über Chequers hinaus seien nicht möglich. Allerdings bleiben knifflige Probleme wie die künftige Grenze zwischen Nordirland und der Republik im Süden bisher ungelöst.

Minister müssen Werbung machen

Einstweilen hat May ihr Kabinett am Dienstag dazu verdonnert, der überwiegend EU-feindlichen Partei das Chequers-Papier als Königsweg zu verkaufen. Jede Ministerin und jeder Minister muss bis zum Parteitag in knapp drei Wochen mindestens zwei Ortsvereine besuchen und für den Brexit-Kompromiss werben.

Die bis zu 80 Brexit-Ultras in der Tory-Fraktion haben sich unter dem Slogan "chuck Chequers" versammelt, wollen den Plan der Premierministerin also auf den Müll werfen. Ihrer vollmundigen Ankündigung, einen eigenen, 140 Seiten starken Brexit-Plan vorzulegen, folgte zu Wochenbeginn allerdings ein kleinlauter Rückzug. "Wir haben noch mal nachgedacht", teilte Jacob Rees-Mogg mit und bemäntelte damit die tiefen Meinungsunterschiede unter den konservativen EU-Feinden.

Ein anderer Brexit-Vorkämpfer, Ex-Außenminister Boris Johnson, hat seiner Sache durch überhitzte Rhetorik einen Bärendienst erwiesen. Chequers sei eine Katastrophe, schrieb der Journalist in einer Sonntagszeitung: "Wir haben dem britischen Staat eine Sprengstoffweste umgehängt und Michel Barnier den Zünder in die Hand gedrückt."

Scheidung eingereicht

Widerwärtig, unerträglich, schädlich – mit solchen Vokabeln reagierten viele gemäßigte Konservative auf den rhetorischen Ausrutscher des Mannes. Auch privat war Johnson wieder einmal auf Abwegen, weshalb seine Frau nun nach 25 Jahren Ehe die Scheidung eingereicht hat. Das stellt selbst in der konservativen Partei kein Problem mehr dar; schwerer wiegt da schon, dass auch Johnson keine Alternative zu Mays Brexit-Plan vorlegen kann.

Den Austritt ganz zu verhindern bleibt das Ziel all jener, die eine zweite Volksabstimmung fordern, von schottischen Nationalisten über Liberaldemokraten bis hin zu weiten Teilen der Labour-Fraktion. Der jährliche Kongress des Gewerkschaftsverbandes TUC sprach sich unter gewissen Bedingungen ebenfalls dafür aus. Um Weihnachten herum, wenn das Unterhaus eine dann vorliegende Vereinbarung mit Brüssel absegnen müsste, wird es wieder hoch hergehen in der britischen Politik. Einstweilen sieht es so aus, als seien Briten und EU auf Kompromisskurs. (Sebastian Borger aus London, 13.9.2018)