"Es sieht magisch aus", sagte der 24-jährige Niederländer Boyan Slat vor einigen Tagen vor einer Schar von Journalisten an der Küste von San Francisco. Gemeint hat er damit ein Konstrukt, das an eine überdimensionale Schwimmnudel erinnert. "Schaut cool aus", meldete sich Tesla-Chef Elon Musk auf Twitter zu Wort. Das 600 Meter lange, an der Meeresoberfläche treibende Rohr soll nicht weniger leisten, als eines der gravierendsten Umweltprobleme auf diesem Planeten zu lösen: die Ozeane vom Plastik zu befreien. Das Ziel von The Ocean Cleanup: Bis 2040 sollen weltweit 90 Prozent des Plastikmülls in den Ozeanen beseitigt werden. Zahlreiche Wissenschafter zeigen sich skeptisch, was Machbarkeit und ökologische Verträglichkeit betrifft.

Die Generalprobe für seine "Mission", wie Slat es nennt, wurde aber bereits öffentlichkeitswirksam inszeniert. Bereits lange vor dem Bau des Prototyps konnte Slat große Aufmerksamkeit generieren und Investoren und Spender für sein Millionenprojekt gewinnen. Er beschäftigt mittlerweile mehr als 70 Mitarbeiter.

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Fünf Jahre lang hat das Team Modelle getestet, etwa in der Nordsee. Das Ergebnis: An dem Schwimmkörper hängt ein Vorhang aus dichtgewebtem Plastik drei Meter tief ins Meer. Wie Fangarme sollen sich die beiden Enden des Kunststoffrohrs u-förmig um die Plastikteile legen. Der Müll soll mit Schiffen eingesammelt und recycelt werden – so der Plan.

Tiere mit herausfischen

"Der Ozean ist nicht die Augsburger Puppenkiste", sagt der Meeresbiologe Martin Thiel von der Universidad Católica del Norte in Chile dem STANDARD. Er äußert "große Zweifel", dass die schwimmende Barriere über längere Zeit in den "sehr rauen Bedingungen" effizient funktionieren kann. Zudem befürchtet er Schäden für das Ökosystem. Dass alle Tiere an dem undurchlässigen Vorhang abgleiten und unter der Anlage wegtauchen können, wie Ocean Cleanup versichert, schließt er aus.

Denn alles, was an der Ozeanoberfläche treibt, werde sofort von Organismen besiedelt. Das betreffe unterschiedliche Tiere, wie Thiel erklärt. Viele Fische heften zum Beispiel ihre Eier an Treibgut. "Dabei unterscheiden sie nicht zwischen natürlichem Substrat – wie etwa Holz, Algen oder Bimsstein – und Plastik. Diese Tiere oder ihre Eier sind untrennbar mit dem Plastik verbunden", sagt Thiel. Zudem leben Moostierchen, Entenmuscheln oder Ozeankrebse darauf, sagt er: "Sie alle würden mit dem Plastik eingesammelt und zerstört."

Vergangene Woche startete vor San Francisco das Projekt The Ocean Cleanup. Einige Experten hoffen, dass die massive Vermüllung der Meere damit eingedämmt wird. Andere halten den Plan für schädlich.
Foto: APA/AFP/Josh Edelson

Österreichischer Meeresbiologe berät im Bereich Ökologie

Diesen Punkt sieht der Meeresbiologe Gerhard J. Herndl vom Department für Limnologie und Bio-Ozeanographie an der Universität Wien als weniger gravierend an. Er ist seit zwei Jahren Mitglied des internationalen, wissenschaftlichen Beirats des Ocean-Cleanup-Projects und berät im Bereich Ökologie. "Auf der Konstruktion sind Kameras installiert, die laufend beobachten, was unter Wasser passiert", berichtet er.

Bei dem Testlauf in der Nordsee hätten sich keine breiteren, negativen Effekte gezeigt. Barrieren im offenen Meer ziehen Organismen an, räumt er ein. Quallen und anderes tierisches Plankton werden daher bei der Entnahme des Plastiks ebenfalls eingesammelt. "Zooplankton ist aber an große Verluste angepasst, weil es massenhaft an Küsten angespült wird", so Herndl, der keine großen Schäden für das Ökosystem prognostiziert.

Wenn die Tests mit "System 001" wie geplant laufen, sollen laut Ocean Cleanup-Gründer Boyan Slat 60 derartige Anlagen installiert werden, nicht nur im Pazifik, sondern auch in anderen Strömungswirbeln.
Foto: APA/AFP/Josh Edelson

Plastik schwimmt in der gesamten Wassersäule

Für Sue Kinsey von der Marine Conservation Society (MCS) in Großbritannien liegt die Schwäche noch in einem weiteren Bereich: "Ein Großteil des Mülls verteilt sich in der gesamten Wassersäule." Plastik bleibt nicht an der Oberfläche. Die Barriere sammelt jedoch nur bis drei Meter Tiefe Material ein. Schätzungen gehen von bis zu 150 Millionen Tonnen Plastikmüll aus, er wurde schon in entlegensten Regionen der Welt bis zum Meeresgrund gefunden.

Dass das gesamte Material recycelt werden kann, hält Kinsey daher für unrealistisch: "Meine Erfahrung mit Müll, der von Stränden gesammelt wurde, ist, dass er von schlechter Qualität ist und zudem so klein ist, dass es nahezu unmöglich ist, ihn zu recyceln."

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Das 600 Meter langen Rohr, an dem ein Netz hängt, soll sich auf dem Pazifik zu einem U formen.
Foto: AP/The Ocean Cleanup

CO2-Ausstoß der Schiffe

Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich auf den CO2-Ausstoß der Schiffe, die den Müll einsammeln. Geht es nach den Konstrukteuren, sollen bald 60 weitere Anlagen installiert werden. Richard Lampitt vom nationalen Zentrum für Ozeanografie in Großbritannien nennt das Projekt "ein nobles Unterfangen".

Die Umweltkosten könnten jedoch hoch sein und mehr Nachteile als Nutzen entstehen, sagt Lampitt dem STANDARD: "Insbesondere wird der CO2-Fußabdruck signifikant sein." Er bezieht sich auf Informationen von Ocean Cleanup, wonach 8000 Tonnen Plastik pro Jahr gesammelt werden sollen: "Basierend auf meinen Berechnungen der Schiffsemissionen werden dadurch 1500 Tonnen an CO2 nur zum Sammeln emittiert."

"Die Lösung liegt an Land"

In einem sind sich alle Wissenschafter einig: Der Weg nach vorne besteht darin, zu verhindern, dass das Material überhaupt in die Weltmeere gelangt. Im Bereich Plastikmüll verortet Gerhard J. Herndl in den vergangenen Jahren eine Sensibilisierung in der Bevölkerung: "Da leistet auch ein Projekt wie The Ocean Cleanup einen wesentlichen Beitrag." Initiative aus der Gesellschaft sei wichtig, so Herndl, da die "Politik heute eher reagiert, als agiert" und damit zum Handeln gebracht werden könnte.

"Die Plastikproduktion wird sich in 15 Jahren verdoppelt haben. Es müssen auch Konzerne in die Pflicht genommen werden", sagt er. Martin Thiel betont: "So wie wir vor einigen Jahrzehnten Antifouling-Farben für Schiffe verboten haben, weil sie große Umweltschäden angerichtet haben, müssen wir jetzt Einwegplastik verbieten. Die Lösung liegt an Land." (Julia Schilly, 13.9.2018)