Johannesburg – Ein kleiner Gesteinssplitter mit rötlichen, sich kreuzenden Linien: Was auf den ersten Blick nicht gerade viel hermacht, ist in Wahrheit eine Sensation. Es ist die älteste bekannte Zeichnung von Menschenhand. Ein internationales Archäologenteam präsentierte den Fund aus der südafrikanischen Blombos-Höhle nun im Fachblatt Nature. Der verzierte Silcret-Stein, der ein Fragment eines deutlich größeren Kunstwerks sein dürfte, ist stattliche 73.000 Jahre alt.

Bedeutungsvolles Symbol, schlichte Verzierung oder gar die Urform des Hashtags?
Foto: Craig Foster

Rekordalter

Das gezeichnete Muster besteht aus mehreren gekreuzten Linien, die mit Ocker auf der zuvor polierten Oberfläche des Steins gezogen wurden. Die bisher ältesten vergleichbaren Funde von Zeichnungen aus Afrika, Europa und Südostasien sind ganze 30.000 Jahre jünger, berichten die Forscher um Christopher Henshilwood von der Witwatersrand-Universität in Johannesburg. Die Entdeckung des Steins unterstreiche die Kunstfertigkeit des frühen Homo sapiens im südlichen Afrika, schreiben die Wissenschafter.

Die etwa 300 Kilometer östlich von Kapstadt gelegene Blombos-Höhle gilt seit den 1990er-Jahren als bedeutende archäologische Stätte: Etliche Artefakte zeugen von frühen kulturellen Aktivitäten moderner Menschen vor 70.000 bis 100.000 Jahren, darunter durchbohrte und rot eingefärbte Schneckenhäuser – augenscheinlich Schmuck – und zahlreiche Steinwerkzeuge. 2002 präsentierten Henshilwood und Kollegen zwei Ockerstücke, in die gekreuzte Linien eingeritzt sind, die frappierend an das Muster auf dem Silcret-Kunstwerk erinnern.

1991 wurden die ersten Ausgrabungen in der Blombos-Höhle durchgeführt. Seither kamen dort zahlreiche Artefakte früher moderner Menschen ans Licht.
Foto: Magnus Haaland

Symbol oder Deko?

"Homo sapiens nutzte in dieser Region offenbar schon früh unterschiedliche Techniken auf verschiedenen Medien, um sehr ähnliche abstrakte Zeichen hervorzubringen", sagt Henshilwood. "Das spricht dafür, dass diese Zeichen eine symbolische Bedeutung hatten." Doch wofür diese Symbole gestanden haben könnten oder ob es sich nicht doch eher um Verzierungen ohne tiefere Bedeutung handelte, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen.

Dass die Ockerzeichnung von Menschenhand stammt, konnte ein Team der Universität Bordeaux aber zweifelsfrei nachweisen: Strukturanalysen mittels Raman-Spektroskopie und Elektronenmikroskopie sowie Experimente mit unterschiedlichen Erdfarben zeigten, dass die Linien auf dem Stein mit einem spitzen Ocker-"Stift" auf glatter Oberfläche gezeichnet wurden.

Nahaufnahme und Rekonstruktion der Linien.
Foto: D'Errico/Henshilwood/Nature

Das abrupte Abbrechen der Linien an den Rändern des Steins lässt vermuten, dass die Zeichnung ursprünglich eine größere Fläche einnahm und komplexer war. Nun wollen die Forscher nach weiteren Teilen des mutmaßlichen Puzzles suchen: Die Blombos-Höhle hält noch abertausende Gesteinssplitter bereit. (David Rennert, 12.9.2018)