Kamran Ghaderi wird Spionage vorgeworfen.

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Das berüchtigte Evin-Gefängnis im Norden Teherans.

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1.060 Tage ist der österreichisch-iranische Doppelstaatsbürger Kamran Ghaderi mittlerweile in iranischer Gefangenschaft. Knapp die Hälfte dieser Zeit verbrachte er in einer eineinhalb mal zwei Meter kleinen Gefängniszelle im berüchtigten Evin-Gefängnis im Norden der iranischen Hauptstadt Teheran. Die offizielle Begründung, warum der diplomierte IT-Experte am 2. Jänner 2016 von Beamten des iranischen Innenministeriums am Teheraner Flughafen verhaftet worden ist, lautet Verdacht auf ausländische Spionage.

Tatsächlich können sich weder er selbst noch seine Frau Harika erklären, warum der Geschäftsmann aus Wien-Floridsdorf und dreifache Familienvater später deshalb zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde. Er kam 1983 nach Wien zum Studieren und schloss sein Elektrotechnikstudium mit einem Doktortitel ab. 1993 wurde er Österreicher. Einen iranischen Pass kann man auch nach Annahme einer anderen Staatsbürgerschaft nicht zurückgeben. Kamran Ghaderi sei aber kein politischer Mensch und wolle sich nicht in die Politik einmischen. Es gehe ihm nur um ein Wiedersehen mit seiner Familie, seine Gesundheit und die Tatsache, dass er "absolut grundlos in Gefangenschaft gehalten werde", zitiert seine Frau Ghaderis Gründe für den Weg an die Öffentlichkeit.

IT-Geschäfte im Nahen Osten

Ghaderi hat sowohl bei seinem früheren deutschen Arbeitgeber – mit dem er einmal beruflich in die USA reiste – als auch nach seinem Weg in die Selbstständigkeit vor rund 15 Jahren immer wieder IT-Geschäfte im Nahen Osten und im persischen Raum abgewickelt. Als der damalige Bundespräsident Heinz Fischer im Herbst 2015 samt einer hochrangigen Delegation aus Politik, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Journalismus nach Teheran reiste, war auch Ghaderi mit dabei. In Wien wurden wenige Wochen vorher die Verhandlungen zu Irans Atomabkommen erfolgreich abgeschlossen.

Man wollte das positive Ansehen, das Österreich als zuvorkommender Gastgeber genoss, ausnutzen und wie viele andere Staaten früh in der von den Sanktionsketten gelösten iranischen Wirtschaft Fuß fassen. Die aktuellen US-Sanktionen gegen den Iran beweisen allerdings, wie volatil solche Wirtschaftsbeziehungen nach wie vor sein können.

Unwissenheit nach Gefangennahme

Der Wiener IT-Berater Ghaderi reiste im Rahmen einer Geschäftsreise am Neujahrstag 2016 erneut von Wien nach Teheran. Nach dem Zwischenstopp in Istanbul hörte seine Frau zunächst nichts von ihm. An eine Verhaftung hatte niemand gedacht – bestätigt wurde diese wenig später nur von Ghaderis Bruder, der davon am Teheraner Flughafen erfuhr. Erst einen Monat nach der Verhaftung sei ihm erlaubt worden, seine Frau anzurufen.

Ein der Ehefrau versprochener Besuch im März 2016 sei vor Ort aufgrund "fadenscheiniger Argumente" kurzfristig wieder abgeblasen worden, sodass sie nach stundenlanger Befragung durch den Inlandsgeheimdienst unverrichteter Dinge zu ihren drei Kindern nach Wien zurückfliegen musste. Während sie im Iran war, habe man ihrem Mann gedroht, dass auch der Mutter und dem Bruder etwas zustoßen würde.

Ghaderi unterschrieb daraufhin ein Geständnis, das ihn der Spionage für Österreich in der Islamischen Republik bezichtigte. Man hatte ihm offenbar ein One-Way-Ticket zurück nach Wien über Abu Dhabi für den 7. März in Aussicht gestellt.

Verhörtaktiken

Zu diesem Flug kam es nie. Ganz im Gegenteil: Seiner Frau zufolge sei er nur zehn Tage später zu einem weiteren Schuldeingeständnis gedrängt worden, das ihn zusätzlich der Spionage für die USA bezichtigte. "Der Sicherheitsapparat im Iran ist nach wie vor sehr intakt und schlagkräftig und hat jahrelange Erfahrung mit verschiedensten Verhörtaktiken", bestätigt ein österreichischer Experte, der anonym bleiben will, dem STANDARD. Harika Ghaderi traut sich seither nicht mehr, in den Iran zu reisen.

Ghaderis Familie zufolge habe Ghaderi nicht nur viel Gewicht verloren, sondern sei auch extremen psychischen Belastungen und psychologischer Folter ausgesetzt gewesen. So sei er zum Geständnis eines Verbrechens gedrängt worden, das Ghaderi seiner Ansicht nach nie begangen habe.

Die iranischen Behörden sehen dies freilich anders. "Nach iranischer Auffassung ist der Begriff der Spionage relativ breit gefächert, sodass vor allem Doppelstaatsbürger, die in sensiblen Branchen tätig sind, Gefahr laufen, unter Spionageverdacht gestellt zu werden", so der befragte Iran-Experte. Für den Iran ist der IT-Bereich solch ein sensibler Bereich.

Verhaftungswelle

Verhaftungen iranischer Doppelstaatsbürger, aber auch ausländischer Journalisten, Unternehmer und Akademiker sind im Iran keine Ausnahme. Sie besitzen meist kanadische, US-amerikanische oder europäische Pässe. Einige – wie zum Beispiel Haleh Esfandiari, Jason Rezaian oder Homa Hoodfar – wurden, unter anderem nach Interventionen ihrer Staaten, bereits wieder freigelassen. Andere – wie etwa Kamal Foroughi oder Kamran Ghaderi – sitzen noch immer in Haft. Irans Generalstaatsanwalt Abbas Jafari Dolatabadi gab im Oktober 2016 bekannt, dass Ghaderi einer von sechs Doppelstaatsbürgern sei, die jeweils für zehn Jahre wegen mutmaßlicher Spionage für Washington inhaftiert wurden. Bei den anderen fünf Beschuldigten soll es sich um amerikanisch-iranische Doppelstaatsbürger handeln.

Beim Prozess im Oktober 2016 habe es sich um "Scheinprozesse" gehandelt, sagt Harika Ghaderi. Ihr Mann habe sich seinen Anwalt aus einer Riege von 20 vom Ministerium bereitgestellten Anwälten aussuchen müssen, dieser habe bei der Verhandlung aber gerade einmal zwei Sätze sagen dürfen. Als Beweismaterial hätten lediglich die Geständnisse gedient, und das Urteil sei nur mündlich vorgetragen worden. Ein schriftliches Urteil haben bisher weder Kamran Ghaderi noch seine Frau gesehen. Die "Mitarbeit für ein verfeindetes Land" sei ihm demnach zur Last gelegt worden. Ob damit nun Österreich, die USA oder beide Staaten gemeint seien, weiß Harika Ghaderi nicht.

Innenpolitische Machtkämpfe

Dass die Verhaftungen im Zusammenhang mit einem Machtkampf von islamistischen Hardlinern und moderateren Stimmen wie Präsident Hassan Rohani und Außenminister Mohammed Zarif stehen könnten, halten mehrere Iran-Experten für plausibel. Die zahlreichen Ähnlichkeiten in den Fällen der verhafteten iranischen Doppelstaatsbürger könnten als Indiz dafür gesehen werden.

Österreichs Außenministerium hatte die Familie anfangs nicht eingeschaltet, man habe daran geglaubt, dass sich das "Missverständnis in den nächsten Tagen auflösen" werde, so Harika Ghaderi. Erst Monate später habe man um Hilfe gebeten. Danach sei ihr versichert worden, alles Mögliche zu unternehmen – über konkrete Maßnahmen sei die Familie aber nicht informiert worden. Ihre Geduld sei mittlerweile am Ende und ihre Verzweiflung zu groß, schildert Harika Ghaderi die Lage.

Ihr Mann ersuche sie schon seit über einem Jahr, den Weg an die Öffentlichkeit zu gehen. Man wolle wissen, ob Österreichs Regierung, etwa beim bilateralen Treffen im Juli in Wien, auf höchster Ebene direkt die Freilassung ihres Mannes fordere.

Außenamt mit Familie "in Kontakt"

Auf STANDARD-Anfrage beim Außenministerium hieß es: "Das Außenministerium, die österreichische Botschaft in Teheran und andere Vertreter der Republik setzen sich laufend für die Freilassung des im Iran inhaftierten österreichisch-iranischen Staatsbürgers ein." Man stehe "seit mehr als zwei Jahren mit seiner Familie in engem Kontakt".

Neos-Abgeordnete Stefanie Krisper fordert im STANDARD-Gespräch die Freilassung Ghaderis: "Wir erwarten, dass das Außenministerium tatsächlich alles tut, um seine Freilassung zu bewirken, und hoffen, dass die Bemühungen bald Erfolg zeigen. Der Fall zeigt, dass wir als EU eine echte wertebasierte EU-Außenpolitik brauchen, die von allen EU-Mitgliedsländern dieselben Menschenrechts- und Rechtsstaatlichkeitsmaßstäbe einfordert."

Gesundheitliche Probleme

Eingesetzt für Kamran Ghaderi hat sich in den vergangenen Jahren auch der EU-Abgeordnete Josef Weidenholzer (SPÖ). Dieser reist als Teil der EU-Iran-Delegation circa zweimal jährlich nach Teheran und trifft dort mit iranischen Parlamentariern und anderen Entscheidungsträgern zusammen, wo er Ghaderis Fall regelmäßig anspreche. "Wir fordern seit Jahren die Freilassung von Kamran Ghaderi. Sein Gesundheitszustand ist angeschlagen, und es wäre dringend notwendig, dass er endlich wieder zurück nach Österreich kommt."

Seiner Frau zufolge plagen den 54-Jährigen spätestens seit seiner Isolationshaft – die unter Iranern spöttisch als "das Grab" bekannt ist und nicht einmal über ein Bett verfügt – schlimme Becken-, Hüft- und Rückenschmerzen. Im Februar 2018 sei er operiert worden. Sein allgemeiner Gesundheitszustand sei aber nach wie vor schlecht, berichtet Harika Ghaderi. Anfragen zur Behandlung eines Oberschenkeltumors seien bisher dreimal abgewiesen worden. (Fabian Sommavilla, 26.11.2018)