Mangelndes Selbstvertrauen kann ihm nicht nachgesagt werden: Lars Eidinger besucht auch Veranstaltungen für Mode.

Foto: APA

Bert Brecht hat eigentlich nicht viel zu tun. Die Menschen durchschauend durch die Rundbrille blicken, unentwegt Zigarre paffen, süffisant lächeln und dem Filmproduzenten seiner Dreigroschenoper die Aufgaben der Kunst erklären. Im Freundeskreis mit Kurt Weill und Lotte Lenya den Faschisten die Stirn bieten. Die Abschieds erklärung an Deutschland, seine schmerzhafte Hinterlassenschaft An die Nachgeborenen ("Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!") hört man am Ende des Films im Originalton. Da hat der Reichstag schon gebrannt. Dass im aktuellen Kinospielfilm Mackie Messer die wenig publikumswirksame Rolle Brechts vom Publikumsmagneten Lars Eidinger übernommen wurde, fügt sich dennoch bestens.

Denn passenderweise stammt Eidingers Leitspruch, wie schon vor Jahren bekundet, von niemand Geringerem als vom deutschen Jahrhundertdichter, den er rechtzeitig zum Kinostart gleich zum Heiligen erklärte: "Die Widersprüche sind unsere Hoffnung." Das klingt nicht nur gut, sondern stimmt auch irgendwie – und vor allem Widersprüche kann man Eidingers steiler Theater- und Filmkarriere mit Sicherheit nicht absprechen. Lars Eidinger gilt als Arbeitstier, und wer auf deutschen Leinwänden so präsent ist wie der 42-jährige gebürtige Westberliner, der hat ohnehin mit Widerspruch zu rechnen.

Verehrter Hamlet

Auch in den nächsten Wochen kommt man im Kino an Eidinger nur schwer vorbei: Neben Mackie Messer – mit einem hervorragend schmierigen Tobias Moretti in der Titelrolle und Joachim Król als Bettlerkönig Peachum – warten der Thriller Abgeschnitten und die Buddykomödie 25km/h. Dass Florian Henckel von Donnersmarck mit seinem eben in Venedig uraufgeführten Werk ohne Autor mit seiner Besetzungsliste wiederum an Eidinger nicht vorbeikam, überrascht nicht wirklich.

Im Kampf gegen die Filmindustrie um seine "Dreigroschenoper": Eidinger als Bert Brecht.
Foto: Wild Bunch

Als Eidinger als Absolvent der renommierten Schauspielschule Ernst Busch im Jahr 2000 zum Ensemble der Berliner Schaubühne stieß, war das noch anders. Unter den Fittichen Thomas Ostermeiers galt es, sich vorrangig mit Ibsen und Shakespeare zu profilieren. Eidinger tat es und wurde zum deutschen Bühnenstar. "Die große Eidinger-Show" übertitelte Die Zeit seine Darstellung als Richard III., Ostermeiers Hamlet-Inszenierung mit Eidinger als Prinz von Dänemark ist seit zehn Jahren durchgängig ausverkauft. Über diverse Aufregungen rund um enthüllte Körperteile Eidingers im Theater kann man nachlesen. Bei der Berlinale 2016 ließ Tilda Swinton die nackten hinteren Tatsachen ihres Co-Jurors dennoch unkommentiert.

Wie Brecht wusste jedenfalls auch Eidinger schon immer, dass das Massenpublikum nur im Kino zu erreichen ist. Allerdings mit unterschiedlichem Erfolg: Wo der Theatermacher im Prozess gegen die Produktionsfirma scheiterte, weil er seine Ideale gegenüber den Begehrlichkeiten der kapitalistischen Kinoindustrie nicht zu verkaufen bereit war (was Eidinger in Mackie Messer ausschließlich anhand originaler Brecht-Zitate belegt), reüssiert ausgerechnet sein jüngster Darsteller diesbezüglich am industriell laufenden Band.

Mit Birgit Minichmayr in "Alle anderen".
Foto: Swr

In seinem ersten großen Leinwanderfolg, Maren Ades viel gelobtem Beziehungsdrama Alle anderen, spielte er als Mittdreißiger an der Seite von Birgit Minichmayr einen erfolglosen Jungarchitekten, der mit seiner Freundin auf Sardinien urlaubt. Heute, knapp zehn Jahre später, scheint Eidinger die Rolle nach wie vor auf den Leib geschneidert: In seiner Darstellung erkannte sich die stilsicher gelangweilte und behütete Generation der Ewigpubertierenden, die ausreichend Zeit hat, sich genau das im Kino anzusehen. Einen besseren Einstieg ins deutsche Autorenkino hätte Eidinger nicht erwischen können.

Kleiner Kinski

Denn als Meister der Selbstinszenierung hat er die Spielregeln des Erfolgs perfektioniert. In einem Interview anlässlich von Olivier Assayas’ Die Wolken von Sils Maria, in dem er neben Juliette Binoche und Kristen Stewart auftaucht, erzählt er von der Entdeckung eines alten Videos aus der Schulzeit. Er habe das Tape für sein Buch Eidinger – backstage ausgegraben. "Es hatte etwas von genialem Dilettantismus, wie bei Kinski." Diesem Frühstadium ist Eidinger natürlich entwachsen, an Selbstvertrauen und Spruchkraft hat es dem als Kinski Selbsterkannten aber nie gemangelt.

Trailer zu "Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm".
KinoCheck

Mittlerweile hat er neben der Schauspielarbeit David Foster Wallace’ Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache als Hörbuch eingesprochen, mit I’ll Break Ya Legg sein eigenes Musikalbum veröffentlicht und steht für Modeshootings zur Verfügung.

Eidinger ist die personifizierte Sehnsucht des deutschen Kinos nach dem internationalen Filmstar, dem – im Gegensatz zu Frankreich – dafür ein kleines Sprungbrett genügen muss. Aber immerhin können Filme wie Die Blumen von gestern, in dem er zuletzt einen grantigen Holocaustforscher aus einer Nazifamilie spielt, dem eine jüdische Studentin lustvoll auf die Sprünge hilft, noch so verunglücken – Lars Eidinger hat einen Status erreicht, der ihn auch über Filme hinwegrettet, die Brecht wohl hassen würde. (Michael Pekler, 14.9.2018)

Weiterlesen:
Lars Eidinger: "Habe durchs Kiffen mein Leben wiedergefunden"