Was in der Secession gekocht wird? Kraut natürlich – passend zum Spitznamen des Gebäudes: "Krauthappel".

Sophie Thun

Eigentlich will die Künstlerin Anthea Hamilton das ja gar nicht, sagt sie. Und am Ende geschehe es doch immer wieder: dass sie einen Ausstellungsraum nicht bloß mit ihren Objekten bestückt, sondern ihn gleich samt und sonders mit ihrer Kunst flutet. Im Falle ihrer Personale in der Wiener Secession ist der Britin ebendies passiert. Wände und Boden sind komplett mit einem groben Schottenkaro-Muster in knalligem Pink, Rot und Blau über zogen. Der White Cube ist verschwunden. Wohin das Auge blickt, trifft es auf Linien, Quadrate, Farben. Diesem Bombardement entrinnt man nur, wenn man die Augen schließt.

Aber bei Hamilton wird dieses Farbgewitter zum Bühnenbild – für Schaufensterpuppen, die mit Kochutensilien behängt sind. Für Blaukrauthäupteln. Martialisch wirkende, geometrische Skulpturen aus Stahl treffen auf Schmetterlinge, die die 40-jährige Künstlerin auf Pölster gedruckt hat. Die 2016 für den renommierten Turner Prize nominierte Hamilton will Räume performativ spürbar machen und folgt dabei Antonin Artauds Idee des "physischen Verständnisses von Bildern".

Harte Gestalten, weiche Falter: Hamiltons Schmetterlinge sind auf Pölster gedruckt.
Sophie Thun

Peitschen als Fühler

Wer genau hinsieht, bemerkt, dass einer der fragilen Falter Peitschen als Fühler hat. In Kombination mit einer Schaufensterpuppe, der ein Staubwedel recht phallisch auf den Allerwertesten zeigt, deutet sich eine gewisse Frivolität an. Zu welcher Erzählung sich die Elemente dieser Welt zusammenfügen, lässt Hamilton jedoch offen. Fest steht, dass ihre Schau ein Spiel mit Größenverhältnissen ist: Umhüllt von den großen Rastern des Schottenkaros, mag man sich selbst wie auf Schmetterlingsgröße geschrumpft fühlen.

Auch als Reflexion auf Digitalität lässt sich die Schau The New Life lesen: Die gerasterten Wände erinnern an das weltbegrenzende und -vermessende Gitternetz in einer 3D-Software. Zugleich korrespondieren sie mit dem Bild raster der pixeligen Tierdrucke. Wie "gestochen scharf" wirkt im Vergleich die organische Musterung im Inneren eines aufgeschnittenen Blaukrauthäupls.

Burt Reynolds? Nein, der junge Karl Lagerfeld

Das Zweitorganischste in der sehr kuriosen, aber ästhetisch reizvollen Zusammenstellung ist ein lasziv hingefläzter bärtiger Mann auf einer Fotografie. Man könnte ihn für den seligen Burt Reynolds halten, aber nein: Es handelt sich um den jungen Karl Lagerfeld.

Es fasziniere sie, dass das heutige Image des Modeschöpfers aus diesem früheren Ich hervorgegangen sei, sagt Hamilton. Um den Aspekt der Metamorphose zu betonen, hat sie der Fotografie Kartoffeln beigegeben. Die verwandeln sich auch, sei’s am Acker oder im Kochtopf. (Roman Gerold, 14.9.2018)

Zu welcher Erzählung sich die Elemente ihrer Secessions-Ausstellung zusammenfügen, lässt Hamilton offen. Sie wolle einen Raum schaffen, in dem "jede Antwort existieren kann", sagt die Künstlerin.
Sophie Thun