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Dunkle Zeiten für die ungarische Akademie der Wissenschaften: Die Orbán-Regierung will die wichtigste Forschungsinstitution des Landes mit allen Mitteln unter ihre Kontrolle bringen.

Foto: MTI / Sandor Kovacs / picturedesk.com

Der Forschungsbetrieb in Ungarn ist in hellem Aufruhr – und das liegt nicht zuletzt daran, mit welcher Geschwindigkeit und Heftigkeit die Regierung unter Viktor Orbán gegen die freie Wissenschaft vorgeht. Nach der Central European University (CEU), die mithilfe von ganz auf die Schädigung der weltoffenen Privatuniversität zugeschnittenen "Anti-Soros"-Gesetze seit dem Vorjahr unter Druck gesetzt wurde, hat die Fidesz-Partei nun die höchste wissenschaftliche Institution des Landes im Visier: die renommierte ungarische Akademie der Wissenschaften.

Gegründet 1825 in Pressburg, dem damaligen Sitz des ungarischen Parlaments, ist die Magyar Tudományos Akadémia (MTA) heute die wichtigste wissenschaftliche Einrichtung Ungarns. 40 Institute und mehr als 100 Forschungsgruppen, verteilt auf mehrere Universitäten, vereinen sich unter ihrem Dach und decken dabei im Rahmen einer komplexen Organisationsstruktur ein breites und pluralistisches wissenschaftliches Spektrum ab – bis vor wenigen Monaten noch weitgehend autonom. Dieser Freiheit ist es auch zu verdanken, dass die international anerkannte Institution mehr als ein Dutzend Nobelpreisträger hervorgebracht hat.

Am finanziellen Gängelband

Doch damit dürfte es nun vorbei sein. Einen Großteil ihrer bisherigen Autonomie hat die MTA bereits im vergangenen Sommer eingebüßt: Am 20. Juli verabschiedete das ungarische Parlament den Haushaltsentwurf für 2019, in dem unter anderem festgeschrieben wurde, dass zwei Drittel der bisherigen finanziellen Mittel der Akademie künftig vom Ministerium für Innovation und Technologie unter László Palkovics verwaltet und nach eigenem Gutdünken zugeteilt werden.

Vom bisherigen Jahresbudget im Umfang von 124 Millionen Euro wandern so ab nächstes Jahr 88 Millionen Euro, die hauptsächlich für die Finanzierung der einzelnen Institute und die Rekrutierung neuer Wissenschafter vorgesehen waren, direkt an das Ministerium. Damit wurde der Akademie der Wissenschaften faktisch der finanzielle Boden unter den Füßen weggezogen. Manche vermuten dahinter eine Racheaktion von Orbán wegen der öffentlichen Regierungskritik einiger MTA-Mitglieder in der Vergangenheit.

Kompromissvorschläge ohne Reaktion

László Lovász, Direktor der Akademie der Wissenschaften, und das 25-köpfige Akademiepräsidium wollten das freilich nicht einfach so hinnehmen, zumal dieser Entscheidung praktisch keinerlei Gespräche vorangegangen waren. Nach einem öffentlich formulierten Protest wurden am 15. Juli weitere Unterredungen mit dem Ministerium beschlossen, die allerdings ohne Ergebnis blieben. Am 23. August übermittelte die Akademie Innovationsminister Palkovics einen Kompromissvorschlag, der unter anderem die Einrichtung eines Forschungsrates einschloss.

Als bis zum 10. September keine offizielle Reaktion darauf erfolgte, suchte Akademie-Direktor Lovász das direkte Gespräch mit dem Minister. Statt auf die Bedenken der Akademie einzugehen, überreichte Palkovics ein Dokument, das die Zukunft der MTA aus Sicht der Regierung skizziert – und diese sieht fürwahr düster aus. Denn letztlich läuft sie auf eine völlige Zerschlagung der Akademie hinaus.

Die zuvor unbekannten Pläne sehen vor, dass zahlreiche Forschungsgruppen und Institute entweder in andere Netzwerke oder Universitäten eingebunden oder gänzlich aufgelöst werden. Jene Bereiche, die unter dem Dach der Akademie verbleiben, sollen demnach einer "Konsolidierung und Profilbereinigung" unterworfen werden. Und all das soll schnell gehen, wie ebenfalls mitgeteilt wurde: Bis Dezember will Palkovics diesen Übergang abgeschlossen sehen.

Verhandlungen gescheitert

Schon einen Tag später trat der Vorstand der Akademie erneut zusammen, um zu beraten, wie mit dieser Ankündigung umzugehen sei. Eines steht für Direktor Lovász jedenfalls fest: Diese Verletzung der Integrität der Akademie sei völlig inakzeptabel, meint er auf der Internetseite der Akademie. Das Präsidium schloss sich einhellig dieser Meinung an und betrachtet die Verhandlungen mit Innovationsminister Palkovics als gescheitert.

Ganz aufgeben will die Akademie der Wissenschaften den Kampf um das letzte bisschen Autonomie, das ihr geblieben ist, aber noch nicht: Um die weitgehende Auflösung des institutionellen Forschungsnetzwerks doch noch zu verhindern, wollen Lovász und das Präsidium als Nächstes direkt mit der Regierung verhandeln. Ob dies die Demontage der wichtigsten wissenschaftlichen Institution Ungarns verhindern wird, bleibt fraglich. (Thomas Bergmayr, 13.9.2018)