Molterer: Die Gefahr eines österreichischen Staatsbankrotts hat nie existiert.

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Europa wurde ziemlich unvorbereitet vom Lehman-Crash getroffen. Nach einer Schrecksekunde wurde rasch agiert, schildert der damalige Finanzminister Wilhelm Molterer. Bankenhilfe, Konjunkturpaket und Garantie für Ersparnisse zählten zu den Gegenmaßnahmen. Die Lage war ziemlich dramatisch. Die Banken liehen sich gegenseitig kein Geld mehr und Einlagen wurden wegen des großen Misstrauens abgezogen. Dann kam auch noch die Republik wegen des Osteuroparisikos der Banken unter Druck, allerdings sei Österreich nie wirklich in Gefahr gewesen, meint der damalige Vizekanzler.

STANDARD: Am 15. September 2008 kollabierte Lehman Brothers. War die europäische Politik einigermaßen darauf vorbereitet?

Molterer: Es hat ab 2007 in den USA viele Spannungen gegeben, denken Sie nur an die Probleme von Bear Stearns, Freddy Mac oder Fanny May. Aber man hatte fast immer das Gefühl: Das ist ein US-Problem. Dazu kam, dass wir in Österreich mitten im Wahlkampf steckten, die Nationalratswahl war am 28. September. In den Tagen nach dem Lehman-Kollaps ist aber schnell klar geworden: Hoppla, das ist etwas Tsunamiartiges. Nur wusste niemand genau, wie groß das Problem ist.

STANDARD: Wie konnte das passieren? Die Immobilienkreditblase war bekannt, die Ansteckungsgefahr im Finanzsystem ebenso.

Molterer: Die systemische Wirkung wurde nicht richtig eingeschätzt. Einerseits die schiere Dimension der riskanten Finanzinstrumente, andererseits die globale Bedeutung.

STANDARD: Was war das sichtbarste Problem der Märkte?

Molterer: Dass die Banken das Vertrauen zueinander verloren haben. Als die Ausleihungen unter den Banken zum Stillstand gekommen sind, war glasklar, jetzt muss gehandelt werden.

STANDARD: Wie kamen Sie in Österreich voran?

Molterer: Ich bin stolz, dass wir in kurzer Zeit die notwendigen Beschlüsse einstimmig im Nationalrat durchgebracht haben, da ging es immerhin um 100 Milliarden Euro. Zum Paket zählten Haftungen für die Ausleihungen zwischen den Banken. Das zweite große Thema war die Einlagensicherung. Wir mussten auf die Diskussionen eingehen, dass der ein oder andere Sparer sein Geld abhebt.

STANDARD: 500er-Scheine waren damals sehr gefragt.

Molterer: Die Notenbank war höchst aktiv. Bei der Einlagensicherung wollten wir eigentlich eine Limitierung. Doch an einem Sonntag hat Deutschland plötzlich eine 100-prozentige Einlagensicherung verkündet, da war klar: Das müssen wir auch unbegrenzt machen. Dazu kam eine Absicherung für KMU-Einlagen bis 50.000 Euro. Das hat gewirkt. Dritter Punkt war das Eigenkapital für Banken und vierter Punkt die Möglichkeit, im Fall der Fälle Banken zu verstaatlichen.

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Panik an den Finanzmärkten nach Lehman.
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STANDARD: Das wurde rasch benötigt.

Molterer: Ja. Bei der Constantia ging das noch ohne Verstaatlichung mit Haftungsübernahme. Die Kommunalkredit war dann der erste richtige Fall, noch dazu ein komplexer, weil mit Dexia ein Großaktionär mit einer großen internationalen Dimension im Spiel war.

STANDARD: Das Maßnahmenpaket war im Vergleich zur Größe des Landes wegen der Banken groß. War die Lage so bedrohlich?

Molterer: Wir haben gewusst, dass wir wegen der Internationalität der großen Bankgruppen mehr tun müssen.

STANDARD: Österreich kam ordentlich ins Gerede. Die Republik wurde in der internationalen Presse als Pleitekandidat gehandelt.

Molterer: Da muss man die Kirche im Dorf lassen. Es gab eine mediale Diskussion, die nicht den Fakten entsprochen hat. Da hat auch der Internationale Währungsfonds wegen eines Rechenfehlers betreffend die Risiken in Osteuropa dazu beigetragen. IWF-Direktor Dominique Strauss-Kahn hat sich dann dafür entschuldigt. Aber die Zinsen auf österreichische Staatsanleihen sind vorübergehend tatsächlich deutlich gestiegen. Das hat sich dann aber relativ rasch erledigt. Die Gefahr eines Staatsbankrotts hat nie existiert.

STANDARD: Es gab viel Kritik, dass man es den Banken zu leicht gemacht hat. Wie sehen Sie das?

Molterer: Für viele Banken waren die Konditionen gar nicht leicht. Es gab ja auch die legendäre Aussage: "Nur über meine Leiche ..."

STANDARD: ... von Raiffeisen-Boss Christian Konrad ...

Molterer: Das Eis hat dann Andreas Treichl gebrochen, der sagte: Wir machen das. Für Treichl war klar, dass das ein Signal an die Märkte ist, alles für die Stabilität zu tun. Auch um den Preis, dass man sich teuer Kapital beschaffen muss und dafür hohe Zinsen zahlt. Raiffeisen ist dann auch gefolgt. Die Banken waren gar nicht happy, dass sie ihr Eigenkapital erhöhen müssen. Da haben wir uns einige Gefechte geliefert.

STANDARD: Doch die Suppe in Form erhöhter Staatsschulden mussten die Steuerzahler auslöffeln. Die Banken haben im Gegensatz zu den Ankündigungen ein Milliardenloch in den Haushalt gerissen.

Molterer: Wir hätten 2008 ohne Bankenrettung erstmals die Schuldenquote von 60 Prozent unterschritten. Das war natürlich obsolet. Die Kosten und das Risiko wären ohne Bankenrettung unvergleichlich höher gewesen. (Andreas Schnauder, 14.9.2018)