Die Federal Hall liegt direkt an der Wall Street, der berühmten Straße, deren Name tatsächlich auf eine Art Mauer zurückgeht. Auf einen Wall, den im 17. Jahrhundert niederländische Kaufleute errichteten, um ihre Siedlung Nieuw Amsterdam zu schützen. "Mauerbau. Kommt einem irgendwie bekannt vor", sagt James Foytlin und spricht von Donald Trump und der Grenze zu Mexiko, aber nur kurz. Sein Thema ist schließlich die Finanzkrise, nicht der US-Präsident.

Des besseren Überblicks wegen federt er die ausgetretenen Stufen einer alten Treppe hinauf und stellt sich oben vors Säulenportal der Federal Hall, in der, so viel Geschichte muss sein, George Washington seinen Amtseid ablegte, als es die Stadt Washington nur auf dem Reißbrett gab. Von der Halle kann man herabblicken auf das tiefer gelegene Gebäude der New York Stock Exchange, der Börse mit den mächtigen Steinfiguren, die ihre Fassade unterm Dach zieren.

Krisentour

In der Mitte Integrity, die Integrität, die Redlichkeit, eine Frau. "Ihr Job ist es zu garantieren, dass sich alle, die hier Handel treiben, nach höheren Standards richten", erklärt Foytlin. Angesichts der Finanzakrobatik, die der Finanzkrise des Jahres 2008 vorausging, klingt der Satz wie Hohn, das weiß er selbst.

Foytlin kennt den Finanzdistrikt wie seine Westentasche. Ende der Siebziger fing er dort an, bei einer Investmentbank namens Dean Witter. Später machte er sich als Vermögensberater selbstständig. Heute berät er Start-up-Unternehmen, schreibt einen Blog und zeigt auf seiner "Financial Crisis Tour" die Schauplätze der rasanten Talfahrt des September 2008, die der Pleite des Hauses Lehman Brothers folgte.

James Foytlin: Det Ex-Banker zeigt heute Touristen in New York die Krisenorte.
Foto: Herrmann

Ein waschechter New Yorker, so stellt er sich vor. Was unter anderem bedeutet, auf zeitraubende Höflichkeitsfloskeln zu verzichten. Foytlin besitzt die Gabe, die Dinge so zuzuspitzen, dass auch ein Laie sie auf Anhieb versteht. Und dass er von keinem Arbeitgeber mehr abhängig ist, hat den Vorteil, dass er keine Rücksichten nehmen muss.

Kalte Füße

Der Rundgang endet am Prachtbau der Federal Reserve, der amerikanischen Notenbank, Außenstelle New York. Streng bewacht, weil im Kellergewölbe Goldbarren lagern. Am Wochenende vor dem Montag, an dem Lehman Brothers in den Bankrott rutschte, stand sie im Zeichen hektischer Krisensitzungen.

Henry Paulson, damals Finanzminister, und Tim Geithner, Direktor der Fed in New York, hatten die Chefs großer Finanzinstitute herbeizitiert, um einen Käufer für Lehman zu finden. Da auch die letzten potenziellen Interessenten kalte Füße bekamen, war das Schicksal des Pleitekandidaten besiegelt. Die Lehren aus dem Kapitel? Ein Crash, antwortet Foytlin, der abgeklärte Wall-Street-Veteran, lasse sich nun einmal nicht verhindern. Wenn eines sicher sei, dann nur, dass es irgendwann zum nächsten Absturz komme.

Krise in Amerika

"Aus der Krise lernen" ist das Motto, unter das die Brookings Institution, eine der renommiertesten Thinktanks der USA, eine zweitägige Diskussionsrunde stellt. In der Woche vor dem Jahrestag, im Zentrum Washingtons, nicht in den Häuserschluchten Manhattans.

Drei Schlüsselakteure von damals sind gekommen: Paulson, Geithner und Ben Bernanke, seinerzeit der Notenbankchef. Bernanke ist heute Gelehrter bei Brookings, außerdem berät er zwei Investmentgesellschaften, Pimco und Citadel.

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Nach der Lehman-Pleite verloren viele Menschen ihre Jobs. Und ihr Heim.
Foto: Reuters

Paulson hat in Chicago seinen eigenen Thinktank gegründet. Geithner leitet Warburg Pincus, eine private Beteiligungsgesellschaft. Die drei sitzen lässig in roten Sesseln, machen einander Komplimente, reden vom vorbildlichen Teamgeist, der in höchster Not herrschte.

Eine Krise, sagt Paulson mit seiner Reibeisenstimme, habe in Amerika noch immer den Effekt, die Sinne zu schärfen und einen Kraftakt möglich zu machen. Jedenfalls würde er keinem raten, in Krisen gegen Amerika zu wetten.

Pulver verschossen

Der Tenor: Zuversicht, dass sich ein solcher Schlag ins Kontor so bald nicht wiederholt. Aber man hat nicht den Eindruck, dass die drei allzu fest daran glauben.

Bernanke warnt vor den Folgen ausufernder Defizite. Gerade jetzt, da die Republikaner im Bunde mit dem Präsidenten Donald Trump ihre Steuersenkungen durchs Parlament gepaukt haben, dem Staat viele Milliarden an Einnahmen verlorengehen, die Schuldenberge wachsen und die USA immer mehr Geld für die Zinsen auf Staatsschulden ausgeben müssen. Das alles begrenze die Kapazität der fiskalischen Feuerwehr für den Fall, dass der nächste Brand gelöscht werden müsse, mahnt Bernanke.

Im Zuge der Finanzkrise, wirft Geithner in die Runde, habe er vor allem eines begriffen: "Dass es erst ganz furchtbar werden muss, bevor sich die Politik zum Handeln entschließt." Weise sei das nicht, kein intelligentes Konzept für eine große Volkswirtschaft. Nur fürchte er, dass es sich beim nächsten Mal genauso wiederhole.

Die Lehren aus der Großen Depression

Es war Bernanke, als Akademiker auf die Große Depression der 1930er-Jahre spezialisiert, der im Herbst 2008 am energischsten darauf drängte, in großem Stil zu intervenieren, um der in Angst erstarrten Finanzwelt neues Vertrauen einzuflößen. Paulson, der von Goldman Sachs in die Regierung gewechselt war, war anfangs skeptisch, wurde dann aber ironischerweise zum größten Staatsinterventionisten in der Nachkriegsgeschichte des Landes. Der Kongress in Washington schnürte ein 700-Milliarden-Dollar-Paket, um toxische Wertpapiere aufzukaufen.

"Tatsache ist, die Leute mögen keine Banken", zieht Paulson ein Fazit, dessen Nüchternheit überrascht. "Und als die Krise da war, mochten sie die Banken noch weniger." Zumal sich die Banker, nachdem der Steuerzahler sie gerettet hatte, mit fetten Boni belohnten, als wäre nichts gewesen. Schon 2009. Paulson wirkt noch heute perplex. "Ein atemberaubender Verlust an Fingerspitzengefühl. Das wirkte wie Öl ins Feuer."

Warum keiner der Beteiligten im Gefängnis landete? James Foytlin stellt die Frage so klar, wie es nun einmal seine New Yorker Art ist. Doch, doch, beantwortet er sie, er kenne Hausfrauen in New Jersey, die hinterher bestraft worden seien.

Sie hätten auf Kreditanträgen ihr Familieneinkommen falsch angegeben, viel zu hoch, um sich mit viel zu hohen Summen geborgten Geldes ein größeres Haus leisten zu können. Gängige Praxis in den Jahren des Immobilienrauschs, zumal die Hypothekenmakler umso mehr verdienten, je höher die Kredite waren. Ninja-Loans: "No income, no job, no assets."

Einige Kreditnehmer hätten sich deswegen verantworten müssen, blendet Foytlin zurück. "Aber was ist mit den Banken, die den Leuten all das Geld liehen?" (Frank Herrmann, 14.9.2018)