Wer wissen möchte, wie es früher in Österreich ausgesehen hat, der kann sich auf La Gomera einen Eindruck verschaffen. Die kleine Kanareninsel liegt 3500 Kilometer südwestlich von Wien, mitten im Atlantik vor der Küste der Westsahara. Trotzdem ist der Bezug belegt: Zehn Prozent der Vulkaninsel sind noch heute von einem immergrünen Laubwald bedeckt, wie er bis zum Beginn der jüngsten Eiszeit vor 2,6 Millionen Jahren in weiten Teilen Europas gewachsen ist. Fossilienfunde haben das bewiesen. Vor der Eiszeit herrschten in Mitteleuropa subtropische Temperaturen mit einem Jahresdurchschnitt von 14 Grad, wie sie heute noch das Klima der Kanarischen Inseln prägen. Der Besuch des Laurisilva-Waldes kommt also einer Zeitreise gleich.

Hier riecht die Vergangenheit nach feuchter Erde und altem Holz. Es ist schattig, feiner Nebel hängt zwischen den Stämmen und Ästen, die von zotteligem Moos bewachsen sind. Der Boden ist dunkel und weich und vielerorts von bis zu zwei Meter hohem Farn verdeckt. Nur wenige Lichtstrahlen dringen durch die Baumkronen und das Dickicht. Die Stimmung im Lorbeerwald ist märchenhaft. Menschliche Spuren findet man keine, nur die Wanderwege deuten darauf hin, dass diese Wildnis genutzt wird.

Der Urwald von La Gomera ist heute gleich vierfach geschützt.
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Ángel Fernández López ist für das lebende Fossil mitverantwortlich. "Die kanarischen Lorbeerwälder weisen die größte Artenvielfalt Europas auf", sagt er, "abgesehen von den europäischen Regionen in den Tropen." Der Biologe leitet seit 33 Jahren den 4000 Hektar großen Nationalpark Garajonay und hat auch Einfluss darauf, was in der ebenso großen Pufferzone geschieht. Die besteht vor allem aus Baumheide, Zistrose, Ginster und Gagelbaum, die niedrigen Buschwald bilden und schnell in die Höhe schießen, wenn die bis zu 30 Meter hohen Lorbeerbäume gefällt werden.

"Ruhe" durch Auswanderung

Das passierte bis in die 1950er-Jahre, als die Gomeros noch von Ackerbau und Viehzucht lebten und auf Holzöfen kochten. Sie reduzierten den Urwald um die Hälfte auf die heutige Fläche. "Dann nahm die Bevölkerung drastisch ab, viele wanderten nach Venezuela und Kuba aus", erzählt Fernández, "und der Wald hatte seine Ruhe."

Heute ist er vierfach geschützt, seit 1981 als Nationalpark, später wurde er Unesco-Weltnaturerbe, Biosphärenreservat und Vogelschutzgebiet. Er bedeckt die Spitze des knapp 1500 Meter hohen Garajonay-Berges und erstreckt sich bis auf 650 Höhenmeter hinab: die grüne Mütze einer runden und ansonsten recht kargen, zerfurchten Insel. Der Wald ist für die Gomeros überlebenswichtig, nicht nur wegen der Wandertouristen, sondern auch klimatisch: Das dichte Grün speichert die Flüssigkeit der Wolken, die die Passatwinde täglich bringen, und versorgt La Gomera mit Wasser.

Bei einem verheerenden Waldbrand wurden 2012 elf Prozent der Fläche von La Gomera verbrannt.
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60.000 Triebe nach Waldbrand gepflanzt

Dieses System war 2012 bedroht, als ein Viertel des Nationalparkgebietes verbrannte. Insgesamt zerstörten die Flammen elf Prozent der Fläche von La Gomera. "Wir fühlten uns, als ob ein Verwandter stirbt", sagt Fernández. Ein von der EU finanziertes Projekt ermöglichte eine Wiederaufforstung. Dieses Jahr läuft es aus.

Fernández zieht eine gemischte Bilanz. Die Regeneration ist deutlich erkennbar: Saftig grüne Büsche und Sträucher wachsen wieder zwischen verkohlten Stämmen. Viele Triebe haben aber Fernández, seine Mitarbeiter und Freiwillige gepflanzt, insgesamt knapp 60.000, je nach Höhenlage und Himmelsrichtung andere Arten. "Der Wald hat sieben oder acht Mikroräume, da muss alles passen", sagt der 60-Jährige.

Ob sie gedeihen, hängt vom Appetit der ausgewilderten Kaninchen, Ziegen und Schafe ab. Sie sind nach Bränden die größte Bedrohung für den Wald. "Ob jemals wieder ein intakter Wald steht, das werden erst unsere Nachfahren wissen", sagt Fernández. Vor dem Brand hat er nur minimal in den Wuchs eingegriffen, heute ist das anders: Er legt Feuerschneisen an und kontrolliert den Buschwald, denn er fängt schnell Feuer.

Petition für eine Lorbeerfeige

Der Waldbrand hat die Gomeros wachgerüttelt, sie kämpfen für mehr Bäume. An den Hängen unterhalb des Lorbeerwaldes wuchsen ursprünglich Palmenhaine, Drachenbäume, wilde Ölbäume und Wacholdersträucher. Die Einheimischen haben sie vor Jahrzehnten zur Schaffung von Weide- und Ackerland gerodet, das heute verwildert und " Zunder für die Flammen ist", sagt Fernández.

Das hat auch LuzMaría González Mendoza erkannt. Sie lebt in der Hauptstadt San Sebastían und hat eine Rettungsaktion für eine 50 Jahre alte Lorbeerfeige gestartet. Der ausladende Baum steht am Ortsrand und soll einem Kreisverkehr weichen. "Seit ich denken kann, spendet er uns Schatten", sagt die 33-Jährige, "Jung und Alt treffen sich hier." Binnen 24 Stunden hatten auf change.org 1500 Menschen unterschrieben. Und La Gomera hat nur 20.000 Einwohner. (17.9.2018)