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Die Finanzmärkte versanken in einem Strudel aus Misstrauen und Liquiditätsmangel.

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Es war ein Moment der Stille. Gefolgt von großer Ungewissheit. So lässt sich die Stimmung am Tag des Zusammenbruchs von Lehman Brothers, damals die viertgrößte US-Investmentbank, beschreiben. Es ist ein Montag im September 2008, der 15. des Monats. In den vergangenen Tagen hatte eine Krisensitzung die andere gejagt. Die Stimmung ist aufgeheizt, die US-Hypothekenkrise hatte zu diesem Zeitpunkt bereits Opfer gefordert.

Die beiden US-Baufinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac waren nur wenige Tage zuvor durch den Staat gerettet worden. In der Bankenwelt dreht sich das Karussell aus Angst und Verunsicherung immer schneller. Das Investmenthaus Bear Stearns war im Mai vom Konkurrenten JPMorgan Chase übernommen worden, um der Insolvenz zu entkommen. Hunderte kleinere Bankinstitute schlossen in den USA ihre Pforten. Merrill Lynch sollte im Folgejahr Teil der Bank of America werden. Und zwischendrin kämpfte die US-Investmentbank Lehman Brothers ums Überleben.

Loch in der Bilanz

Verluste aus Hypothekenkrediten haben ein Loch in die Lehman-Bilanz gerissen. Die Liquidität wird knapp, der Börsenkurs stürzt seit Tagen ab. Doch kaum jemand glaubt in diesen hektischen Tagen an ein Ende der Investmentbank, die weltweit operiert hat. Die Hoffnung, dass der Staat in der letzten Minute als Retter einspringt, hält die aufkeimende Panik in Grenzen. Noch. Doch es kommt anders. Niemand will das Institut retten. Es ist noch sehr früh an diesem Montag, als über die Nachrichtenagenturen die Meldung aufblitzt, dass Lehman Brothers Insolvenz angemeldet hat.

"Man dachte, jetzt ist alles aus", erinnert sich ein Marktteilnehmer, der namentlich nicht genannt werden will, an diesen Moment zurück. "Es war eigenartig, man wusste nicht, was jetzt passieren würde", beschreibt er den Moment, der letztlich die ganze Branche verändert hat. Dass erstmals ein großer Player an der Wall Street fallen gelassen wurde, war bis dahin nicht denkbar gewesen. Der Fall von Lehman habe die Branche in ein Gewässer geführt, in dem man bisher noch nicht gewesen sei.

Risiko wurde schlagend

"Mit dem Fall von Lehman wurde erstmals auch das Emittentenrisiko schlagend", erinnert sich Monika Rosen, Chefanalystin vom Private Banking der Unicredit Bank Austria, zurück. Das sei bis zu diesem Zeitpunkt kaum ein Thema gewesen. Fakt ist, dass Lehman Brothers bei unzähligen Finanzgeschäften der Kapitalgarantiegeber war und mit der Insolvenz ausgefallen ist. Das wurde auch in Österreich relevant, denn Lehman Brothers waren auch hierzulande Garantiegeber bei diversen Finanzprodukten wie Versicherungen oder Zertifikaten. Anleger kämpften in der Folge noch Jahre um ihr investiertes Kapital. Unzählige Gerichtsverfahren folgten.

"Ein paar Tage vor der Lehman-Pleite hat niemand geglaubt, dass das Unfassbare wirklich passieren wird", sagt Franz Gasselsberger. Vor allem die Schockwelle, die danach einsetzte, ist dem Chef der Oberbank heute noch im Gedächtnis. "Das Misstrauen der Banken untereinander war plötzlich sehr hoch", sagt Gasselsberger. Weil freilich niemand wusste, was der andere eventuell in den Büchern hat, haben die Banken aufgehört, einander Liquidität zur Verfügung zu stellen.

Kurse sackten ab

Der Strudel aus Misstrauen, Liquiditätsmangel, Verstaatlichungen und enormen Verlusten der Banken hat sich auch an den Börsen widergespiegelt. Die Kurse der Finanzinstitute sackten ab. "Erst im März 2009 war das Tief an den Börsen erreicht", sagt Rosen. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Kurse an der Wall Street nahezu halbiert. Die Erholung kam nur langsam voran. "Rückblickend weiß man zwar, dass diese Zeit geeignet war, um Zukäufe zu tätigen", erklärt Rosen. Aber die Stimmung sei damals sehr nervös gewesen. Das Momentum zu nutzen sei ob der Unsicherheiten im Markt nicht leicht gewesen.

Der Fall von Lehman hat die Bankenbranche jedenfalls verändert. Das Geschäft mit verbrieften Produkten galt lange Zeit als verpönt. Es wurde klar, dass eine Kernkapitalquote von damals vier Prozent viel zu riskant ist. Eigenkapitalvorschriften wurden angehoben. Wie hoch Bonuszahlungen von Bankern sein dürfen, ist seither regelmäßig ein Thema, und so manches Haus trennte fortan an das Investmentgeschäft vom klassischen Banking. Zumindest in den vielen neuen Vorschriften für die Branche lebt Lehman weiter. (Bettina Pfluger, 14.9.2018)