Die Linke ist es, die immer mehr Bürger nach "rechts" treibt, weil sie bei der Linken nicht mehr finden, was einst zum linken Selbstverständnis gehörte.

Cartoon: Michael Murschetz

Die deutsche Linke und der Islam, das ist eine monströse Geschichte. Denn es ist die Begegnung zweier Seelenlagen, jede von ihnen voller Schuldgefühle. Das linke Schuldgefühl kommt aus der Hölle der deutschen Vergangenheit. Das islamische Schuldgefühl kommt aus dem allmächtigen Himmel, in dessen Dienst die muslimische Welt ihre Zukunft verpasst. Das linke Schuldgefühl entlastet sich durch maximale Toleranz. Das islamische Schuldgefühl besänftigt sich durch maximale Intoleranz. Beide Schuldgefühle erzeugen ein Monstrum an Irrationalität auf deutschem Boden.

Die maximale Toleranz aber befreit die Linke keineswegs von ihrem Schuldgefühl. Deshalb tendiert ihre Toleranz zur Grenzenlosigkeit, sie toleriert alles, es sei denn, es komme von "rechts", aus der Hölle. Für alles andere, und sei es noch so übel, wird sie zur Blanko-Toleranz. Die islamische Intoleranz hingegen toleriert nichts, es sei denn, es komme aus dem Himmel. Auch sie ist in ihrem Schuldgefühl steckengeblieben. Deshalb verbaut sie der muslimischen Welt weiterhin die Zukunft. Beide Schuldgefühle versuchen sich durch jeweilige Hypermoralität zu entschulden. Das produziert den Überlinken einerseits und den Übermuslim andererseits. Beide müssen zur Vernunft gebracht werden. Aber wie und von wem?

Zunächst die triste Bilanz aus der Begegnung irrationaler Toleranz mit irrationaler Intoleranz: Die deutsche Linke hat den linken Verstand verloren, denn ihre Toleranz dem Islam gegenüber duldet alles, was der aufgeklärten deutschen Gesellschaft und was freiheitsbewussten Musliminnen und Muslimen in Deutschland und in der islamischen Welt schadet.

Orientalismus

Es gibt einen neuen Orientalismus, den die Linke nun von den Muslimen selbst einfordert, schreibt die algerische Feministin und langjährige Unesco-Mitarbeiterin Wassyla Tamzali: "Muss ich ab jetzt verschleiert sein, um Gehör zu finden?" Der neue, linke Orientalismus grenzt den muslimischen Menschen aus der Aufklärung aus, wie früher der alte, eurozentrische Orientalismus es tat. Markenzeichen des linken Neo-Orientalismus ist das "Kopftuch".

Es gehört in Anführungszeichen gesetzt, denn es ist kein Kopftuch. Es ist ein den Frauenkörper bis über die Fußknöchel abdeckender Hidschab, Nikab, eine Burka oder ein Burkini. Deshalb werde ich ab jetzt das Wort "Kopftuch" immer in Anführungszeichen setzen. Denn das Kopftuch ohne Anführungszeichen verharmlost, was das "Kopftuch" der Frau und dem Bild von der Frau in der heutigen Welt antut. Der linke Neo-Orientalismus behauptet, das "Kopftuch" werde "freiwillig" getragen. "Harvey Weinstein und seine Anwälte verteidigten sich gegen den von einer Frau erhobenen Vorwurf sexuellen Übergriffs mit dem Argument, die Frau habe den Handlungen des amerikanischen Produzenten freiwillig zugestimmt. Das hört man jetzt auch, wenn es um die verschleierten Frauen geht", so Wassyla Tamzali.

Missionarisch, militant, inhuman ebnet die deutsche Linke dem "freiwilligen" Fundamentalismus in Deutschland den Weg. Der "freiwillige" Fundamentalismus ist gefährlicher als der offen erzwungene. Denn der offen erzwungene lässt den Widerstandswillen intakt, der "freiwillige" löscht ihn als "unislamisch" aus.

Gegen alles

Ich hatte nie etwas gegen den Islam, bis ich plötzlich merkte, dass der Islam etwas gegen mich und meine muslimischen Freunde hatte. Ich habe mit dem heutigen Islam nicht mehr Schwierigkeiten, als ich mit jedem reaktionären Deutschen, Franzosen oder Chinesen habe. Mit jedem Amerikaner, Türken, Buddhisten, Christen, Hindu, Nord- oder Schwarzafrikaner, Dunkelhäutigen oder Hellhäutigen, der gegen die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist, gegen die Gewissensfreiheit, gegen die Gleichheit aller Menschen, ob "gläubig" oder "ungläubig", der gegen die Trennung von Religion und Staat ist, der gegen die Vermischung von Menschen unterschiedlicher kultureller Prägung ist, der gegen Homosexuelle ist, gegen die sexuelle Selbstbestimmung der Frau, gegen die Gedankenfreiheit.

Leider ist der gegenwärtige Islam gegen all dieses. Anders als der einzelne reaktionäre Deutsche, Amerikaner, Chinese, dem ich aus dem Weg gehen kann, hat der Islam mehr Macht als diese alle zusammen. Er ist vielerorts Staatsmacht. Er ist Staatsreligion. Er beherrscht einen großen Teil der Welt. Er steckt in international vernetzten Terrororganisationen.

Er verfügt über zivile Organisationen, die "friedlich" und "tolerant" die westlichen Freiheiten für ihre antifreiheitlichen Zielsetzungen nutzen, an erster Stelle die westliche Religionsfreiheit, die der Islam bei sich nicht duldet. Dieser Islam ist militant und missionarisch wie die linke Islam-Toleranz, die ihm militant und missionarisch entgegenkommt. Seit dem 11. September 2001.

Nichtlinke Linke

Ich habe keine Schwierigkeiten mit einer Linken, die links ist. Die "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" für alle gelten lässt. Die muslimische Aufklärer nicht als "Rassisten" diffamiert, weil sie Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit auch für Muslime wollen. Was wäre die Welt ohne die Linke? Ohne jene Linke, die sich für die gesellschaftliche Emanzipation auf sozialem und kulturellem Gebiet eingesetzt hat seit den Zeiten Voltaires? Die den Kolonialismus bekämpft hat? Die die Befreiungsbewegungen inspiriert und unterstützt hat? Die den katholischen Fanatismus besiegt hat? Die die Kirche gezwungen hat, Gleichberechtigung und sexuelle Selbstbestimmung anzuerkennen?

Ich habe nur Schwierigkeiten mit einer Linken, die alles dies aufgibt, sobald das Wort "Islam" fällt. Die so tut, als wäre der Islam Teil einer Befreiungsbewegung gegen die (angebliche) politische und kulturelle Hegemonie des Westens. Die nicht zugibt, dass der Islam selbst zum grausamen Unterdrücker in weiten Teilen der einstigen "Dritten Welt" geworden ist. Die einverstanden ist, dass der Islam dort alles Aufgeklärte und Demokratiefreundliche als "westlich", "verwestlicht", "unislamisch" ablehnt und verfolgt. Die einen Islam unterstützt, der auch in Deutschland die Abschottung von allem "Westlichen" fordert und die Frau für "unrein" hält.

Im Namen der Toleranz

Mit einer Linken, die im Namen der Toleranz all dieses akzeptiert, will ich nichts zu tun haben. Sie missachtet die Menschenrechte. Sie toleriert, dass ein Teil unserer Gesellschaft, der Teil mit muslimischem "Migrationshintergrund", im Namen Gottes hinter die Menschenrechte für alle Menschen zurückfallen konnte.

Ich will keine Linke, die Religionskritik für "rassistisch" hält, sobald sie den Islam betrifft. Religion ist keine Rasse, was soll der Unsinn? Es wird höchste Zeit für eine Linke, die wieder links wird. Die endlich kapiert, dass die bedrohte Minderheit in der Welt von heute nicht der Islam, sondern die Aufklärung ist. Deutschland braucht eine Linke, die mit der muslimischen Aufklärung zusammenarbeitet.

Ihr sollte die linke Toleranz gelten, nicht – wie seit 20 Jahren – ihren Feinden. Es kann doch nicht sein, dass diese Selbstverständlichkeit aufgegeben wird, weil Kritik am Islam angeblich "Wasser auf die Mühlen der Rechten" liefert. Was wiegt denn diese Rechte gegen die Menschenrechte?

Mit der Aufgabe linker Selbstverständlichkeiten ist es doch die Linke selbst, die seit Jahren Wasser auf jene rechten Mühlen liefert, die sie trockenlegen möchte. Die Linke ist es, die immer mehr Bürger nach "rechts" treibt, weil sie bei der Linken nicht mehr finden, was einst zum linken Selbstverständnis gehörte: Kritik an Dogmen, an Fanatismus, an Frauenverachtung, an gesellschaftlicher Rückständigkeit und an einer Aufteilung der Menschheit in "Gläubige" und "Ungläubige", also in Gut und Böse. So dreht die Linke die Republik nach rechts.

Wieder links werden

Um wieder links zu werden, muss die Linke erst einmal rechts anfangen, wo sich inzwischen alle Probleme zur Behandlung eingefunden haben, die die Linke seit zwei Jahrzehnten verdrängt: vom aufklärungsresistenten Islam über den vom Islam ruinierten Multikulturalismus und die gegen "Ungläubige" abgeschotteten Parallelgesellschaften bis hin zur Penetranz des Islam im staatlich neutralen Raum via "Kopftuch" für Lehrerinnen, dem Mobbing nichtislamischer Schüler und dem muslimischen Antisemitismus. Ganz zu schweigen vom Terror im Namen des Islam, der nach Rotgrünlinks mit dem Islam "nichts zu tun" hat.

Dabei berichten algerische und marokkanische Zeitungen – muslimische (!) Zeitungen – ausführlich, warum genau das Gegenteil der Fall ist: "Der traditionelle religiöse Diskurs rechtfertigt in der Tat diese Gewalt. Es fordert uns viel Mut ab, das anzuerkennen, aber dennoch ist es die Realität. Wir müssen die religiösen Texte und archaischen Interpretationen angreifen, die immer noch Terrorismus hervorbringen und ihn rechtfertigen", war in der algerischen Zeitung "El Watan" nach dem Massaker an der "Charlie Hebdo"-Redaktion zu lesen. (Samuel Schirmbeck, 15.9.2018)