Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) betonten in Berlin, wie wichtig mehr Ressourcen für die Grenzschutzagentur Frontex sind.

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Berlin/Wien – Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hält die Stärkung der EU-Grenz- und -Küstenschutzagentur Frontex für die "einzige wirkliche Lösung der Migrationskrise". Er betonte am Sonntagabend bei seinem Besuch in Berlin insbesondere die notwendige Ausweitung des Mandats der Behörde: "Der grausame Kreislauf (aus Schlepperei und Sterben im Mittelmeer, Anm.) muss durchbrochen werden."

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Der Kanzler war direkt vor seiner Visite bei seiner deutschen Amtskollegin Angela Merkel noch am Sonntag gemeinsam mit EU-Ratspräsident Donald Tusk zu einem Kurzbesuch in Kairo bei Staatspräsident Abdelfattah al-Sisi gewesen. Er würdigte in Berlin die Anstrengungen Ägyptens, die illegale Migration nach Europa auf dem Seeweg einzudämmen: "Seit zwei Jahren fährt kein einziges Schiff (der Schlepper, Anm.) von Ägypten weg. Es ist also schaffbar."

Kurz beklagt "Aufgeheiztheit der Stimmung"

Zur Debatte um die Verteilung von Flüchtlingen in Europa gab sich Kurz indes eher zurückhaltend: "Das ist keine Lösung für die Migrationsfrage." Außerdem beklagte er die "Aufgeheiztheit der Stimmung" in der EU, und dass die "Gräben zu tief" geworden seien, auch im Vorfeld der EU-Wahlen 2019. "Jetzt gibt es eine aufgeheizte Vorwahlstimmung: Macron gegen Orbán, Orbán gegen Macron", sagte er mit Hinweis auf den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, den er am Montag in Paris besuchen wird, und Ungarns Regierungschef Viktor Orbán. "Es gibt zu wenig Fokus auf das gemeinsame Lösen der Probleme."

Die Stärkung von Frontex auf Grundlage der Vorschläge von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wird eines der zentralen Themen beim informellen EU-Gipfel am kommenden Mittwoch und Donnerstag in Salzburg sein. Während Österreich und Deutschland die Vorschläge weitgehend unterstützen, zeigen sich die Südeuropäer besonders bezüglich der angedachten umfassenden Kompetenzausweitung von Frontex skeptisch. Nach den Plänen sollen die EU-Grenzschützer etwa auch ohne vorherige Rücksprache mit nationalen Behörden tätig werden können.

Italien will Rotationsprinzip bei EU-Mission Sophia

Im Vorfeld des Gipfels ins Salzburg kamen auch aus Rom Ideen und Forderungen. Italien hält an der EU-Militärmission "Sophia" zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität im Mittelmeer fest, verlangt jedoch die Einführung eines Rotationsprinzips für die Häfen, die Migranten aufnehmen.

"Die wichtigste politische Forderung ist die sofortige Überwindung des Systems, wonach alle von Schiffen der Sophia-Mission geretteten Migranten in italienischen Häfen landen müssen", berichtete Verteidigungsministerin Elisabetta Trenta in einer Ansprache vor dem Parlament. Die Last für die Migrantenaufnahme müsse unter den Mitgliedsstaaten verteilt werden.

"Mit der Sophia-Mission sind seit 2015 45.000 Migranten in Italien eingetroffen. Wir arbeiten für eine Änderung der Missionsregeln. Wenn die EU aus 27 Mitgliedern besteht, müssen wir die Last der Migrantenaufnahme auf 27 Länder aufteilen. Ansonsten beenden wir diese Mission, denn Italien kann nicht Europas Flüchtlingslager sein", meinte Innenminister Matteo Salvini. Es stehe nicht "in der Bibel", dass alle Migranten in Italien eintreffen müssen.

Kurz wird am Dienstag Rom besuchen. Geplant ist ein Gespräch mit Premier Giuseppe Conte.

Seenotrettung nicht Kern des Mandats

EU-Kräfte dürfen im Rahmen der Militärmission verdächtige Schiffe anhalten, durchsuchen und beschlagnahmen, wenn der Verdacht auf Schlepperei von Flüchtlingen besteht. Mutmaßliche Kriminelle müssen seit der 2015 eingeleiteten zweiten Phase der EU-Operation auch mit einer Festnahme rechnen. Bis dahin lief die erste Phase, bei der es primär um die Informationsgewinnung über die Netzwerke sowie die Rettung schiffbrüchiger Flüchtlinge ging. Die Seenotrettung ist in der Praxis und nach internationalem Recht weiterhin ein Bestandteil der Mission, aber nicht Kern des Mandats.

An "Sophia" – offiziell heißt die Mission "Eunavfor Med" – sind 24 EU-Staaten beteiligt, darunter auch acht Stabsoffiziere aus Österreich. Das derzeitige Mandat läuft noch bis Jahresende. Die Operation besteht aus vier Schiffseinheiten und drei Hubschraubern und drei Flugzeugen zur Luftüberwachung. Zu den neuen Aufgaben der Mission zählt seit 2016 auch die Überwachung illegaler Öltransporte aus Libyen und das Training der libyschen Küstenwache. Mit der Ausweitung der Aktion sollten vor allem Schlepperbanden, die von Libyen aus agieren, bekämpft werden.

Ausbildung libyischer Offiziere

Dank der "Sophia"-Mission wurden bisher 151 Schlepper festgenommen und 550 von Schleppern genutzte Schiffe beschlagnahmt. 240 Offiziere der libyschen Marine und der Küstenwache wurden ausgebildet. Geplant ist ein weiterer Trainingskurs für weitere 75 Libyer auf der Insel Maddalena nördlich von Sardinien. 70 Prozent des in Italien ausgebildeten Personals ist bereits an Bord libyscher Schiffe im Einsatz. "Die Ausbildung der libyschen Offiziere erfolgt mit EU-Geldern", berichtete Verteidigungsministerin Trenta. Die libysche Küstenwache und die Marine haben im letzten Jahr 9.000 Migranten bei 70 Einsätzen gerettet. Diese erfolgten auch mit sieben von Italien gelieferten Schiffen.

Den Namen "Sophia" erhielt die Operation nach einem Flüchtlingskind, das auf dem deutschen Marineschiff Schleswig-Holstein geboren worden war. Die aus Somalia stammenden Eltern des Babys wurden am 22. August 2015 vor der Küste Libyens gerettet.(APA, red, 17.9.2018)

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