Wien . Äußerst politisch wird sich Sven Hartberger von der Position als Leiter des Klangforum Wien verabschieden. Der 60-Jährige hat am Montag sein letztes vollständig von ihm verantwortetes Jahresprogramm der Neue-Musik-Experten vorgestellt, bevor mit 1. Jänner 2020 Peter Paul Kainrath die Institution übernimmt. Davor rückt man aber nochmals die politische Analyse in den Mittelpunkt – und den Alkohol.

Es gehe darum, die Entwicklungen der Welt zu reflektieren, stellte Hartberger klar: "Wir können dazu nicht einfach aufspielen und Musik dazu machen." Zensurdrohungen gegen Künstler seien mittlerweile auch in Österreich unter der neuen Regierung vollkommen gängig, verwies Hartberger auf die Fälle in Schwechat oder dem Theater in der Josefstadt. "Es ist richtig, dass das vollkommen unbedeutende Hinterbänkler sind, die solche Dinge sagen", konstatierte der Musikmacher. Man würde aber gerne von "Schweigebundeskanzler" Sebastian Kurz und Kulturminister Gernot Blümel (ÖVP) ein Wort dazu hören: "Wenn sie zu solchen Dingen schweigen, müssen wir leider glauben, dass sie uns etwas ausrichten wollen über die Leute in der dritten oder vierten Reihe."

Projekt "Zum Gemeinwohl!"

So stelle sich auch für Kunst und Kultur die Frage, ab wann man moralisch verpflichtet sei, die eigene Stimme zu erheben. "Die Zeit, in der geschwiegen werden durfte, scheint mir eindeutig vorüber", unterstrich Hartberger. Dazu startet man am 8. Februar das Projekt "Zum Gemeinwohl!". Werke von 20 Komponistinnen und Animationsfilmerinnen sollen dabei als Ausgangspunkt für eine Diskussion über den Zustand der Welt und die Idee einer Alternative zum aktuellen Kapitalismus dienen, basierend auf Christian Felbers Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie. "Das ist das zentrale Projekt des gesellschaftspolitischen Engagements des Klangforums Wien in der Saison 2018/19", so Hartberger. Am 4. März wird das Vorhaben im Wiener Konzerthaus und am 4. Mai in der Hamburger Elbphilharmonie gezeigt.

Wiederaufgenommen wird daneben das achtstündige "Symposion" im Brüsseler Bozar, das am 22. September als Beitrag der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft zu sehen ist, bevor man zum Abschied für vier Abende im Jänner und Februar in die Halle E des Museumsquartiers und damit an den Ort der Uraufführung zu Beginn des Jahrtausends zurückkehrt. Kernelement ist hier das gemeinsame Betrinken zur Erreichung eines offenen, diskursiven Zustandes. "Das ist eine phänomenale Kulturtechnik, die die Alten erfunden haben", verwies Hartberger auf die alten Griechen. Über den Abend hinweg werden 14 verschiedene Weine angeboten, wobei im Schnitt zwei Flaschen pro Person getrunken werden.

41 Uraufführungen

Insgesamt sind in der Saison 41 Uraufführungen angesetzt. "Fast die Hälfte davon stammt von Komponistinnen", unterstrich der Neue-Musik-Doyen. Ebenfalls neu ist, dass Sylvain Cambreling seine Aufgabe als Erster Gastdirigent nach einem Vierteljahrhundert niedergelegt hat. Nachfolger ist der 44-jährige Bas Wiegers. "Wir haben ja schon oft zusammengearbeitet – und es freut mich ungemein, dass wir es jetzt etwas offizieller gemacht haben", betonte der Niederländer.

Der junge Dirigent werde sich auch mit einer Entwicklung auseinandersetzen müssen, die Hartberger derzeit konzediert: "Es gibt verschiedene Indizien, dass die Neue Musik allmählich zu einem Ende kommt." Man sei in einem Stadium der Ablöse, auch wenn das Neue, das komme, noch nicht erkennbar sei in seiner Gestalt. Laptop und Videobeamer seien heute aber für viele Tonsetzer der Referenzrahmen – nicht mehr Geige und Klavier. Auch sinke die Aufmerksamkeitsspanne beträchtlich. "Man muss da keine Trauer haben", beruhigte Hartberger die Freunde der Neuen Musik. Auch Barock oder Wiener Klassik seien irgendwann an ein Ende gekommen. (APA, 17.9.2018)