Carlos M. Jaramillo ist der medizinische Leiter der Aquarius.


Foto: Bianca Blei

Carlos M. Jaramillo weiß, wie es sich anfühlt, der einzige Arzt weit und breit zu sein. Der 43-Jährige ist der verantwortliche Mediziner an Bord des Rettungsschiffs Aquarius. Kurz nach seinem Abschluss an der medizinischen Universität in Kolumbien wurde er versetzt. "Soziales Jahr" nennt sein Heimatland den vorgeschriebenen Einsatz, in dem Mediziner in jene Gebiete Kolumbiens entsandt werden, in denen es nur wenig medizinische Versorgung gibt.

1999 zog Jaramillo ins Amazonas-Gebiet im Süden des Landes. Mitten in einem indigenen Reservat war er der einzige Ansprechpartner für die Bevölkerung. Eine Aufgabe, die ihm als jungem Mediziner "auch Angst gemacht hat", wie er heute erzählt. Das Gebiet sei abgelegen gewesen, ein Flugzeug sei nur zweimal in der Woche im Dschungel gelandet. Sein Haus hatte keine Elektrizität, und das Gebiet wurde von den Guerillas der Farc kontrolliert – jener Gruppierung, die vor zwei Jahren offiziell ihre Waffen niedergelegt hatte.

Jaramillo lernte während seines Amazonas-Einsatzes nicht nur, sich wieder auf seine Instinkte und nicht auf medizinische Geräte zu verlassen, sondern auch, über den Hintergrund seiner Patienten hinwegzusehen. "Manchmal klopften um zwei Uhr morgens die Kämpfer an mein Fenster und schickten mich in das Krankenhaus, um ihre Verletzten oder Kranken zu sehen", erzählt er. Es herrschte kein bewaffneter Konflikt; Schusswunden musste der junge Arzt nicht versorgen, viel öfter dagegen die Auswirkungen eines Parasiten der Gattung Leishmania. Jaramillo war fasziniert, sein Interesse für Infektionserkrankungen geweckt.

Zwischenstopp Südafrika

Nach der Rückkehr in seine Heimatstadt Medellín absolvierte der Internist einen Lehrgang in Pennsylvania und reiste anschließend vier Monate nach Südafrika, um HIV und Aids zu untersuchen. Er vertiefte sich in die Erforschung und Behandlung von Infektionserkrankungen, erhielt ein zweijähriges Stipendium am renommierten Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York. Doch der Alltag in Pennsylvania reichte Jaramillo bald nicht mehr "Und ich wusste, dass es immer schwieriger wird, etwas Neues zu machen, je älter man wird." Seine Frau unterstützte ihn bei der Bewerbung für Ärzte ohne Grenzen. Die Organisation schickte ihn 2016 neun Monate nach Usbekistan.

Nach seiner Rückkehr in die USA war sich der Arzt nicht sicher, ob und wann er sich wieder auf Mission begeben wollte: "Neun Monate von meiner Frau getrennt zu sein war hart", nennt er einen der Gründe. Nach eineinhalb Jahren wuchs der Drang, sich noch einmal drei Monate lang zu verpflichten.

Er hatte die Wahl zwischen einem Projekt im Irak, in den Auffanglagern Libyens oder auf der Aquarius. Jaramillo entschied sich für die Rettungsmission und hat das Gefühl, sich wie im Dschungel wieder mehr auf seinen Instinkt als auf Geräte verlassen zu müssen: "Ich rechne damit, dass ich alle Krankheitsbilder in dem Spektrum zwischen 'sehr krank' und 'dehydriert' zu Gesicht bekommen werde", sagt er. Wie er sich vorbereitet hat? "Ich habe die Akten der letzten Einsätze durchgesehen, mich mit meinem Vorgänger an Bord beraten", sagt Jaramillo: "Mehr kann man nicht tun." (Bianca Blei, 18.9.2018)