Dass sich das Universum nicht nur ausdehnt, sondern beschleunigt expandiert, konnte Einstein noch nicht wissen.

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Seine kosmologische Konstante war dennoch keine Eselei.

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Als Albert Einstein im Jahr 1917 einen Artikel mit dem Titel "Kosmologische Betrachtungen zur allgemeinen Relativitätstheorie" veröffentlichte, hat er sicher nicht damit gerechnet, eine Kontroverse auszulösen, die auch mehr als 100 Jahre später noch andauert. In den zehn Seiten dieses kurzen Aufsatzes stellt Einstein das vor, was er später angeblich als seine "größte Eselei" bezeichnet haben soll.

Kurz zuvor hatte Einstein seine große Theorie über den Zusammenhang von Raum, Zeit, Materie und Gravitation fertiggestellt: die Allgemeine Relativitätstheorie. In seinem neuen Aufsatz machte er sich ein paar Gedanken über deren kosmologische Bedeutung. Einstein hatte Sorgen wegen eines Widerspruchs zwischen dem, was seine Theorie vorhersagte, und dem, was man damals tatsächlich am Himmel beobachtete.

Modifizierte Gleichungen

Die Relativitätstheorie beschrieb ein Universum, das sich entweder ausdehnt oder in sich zusammenfällt. Die Sterne am Himmel zeigten aber keine entsprechende Bewegung. Das Universum erschien statisch – und genau das war auch das Weltbild, das damals vorherrschte und dem auch Einstein anhing: Der Kosmos hat keinen Anfang und kein Ende; er ist unendlich groß und immer schon unendlich groß gewesen.

Bei der Betrachtung der mathematischen Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie stellte Einstein fest, dass man den Formeln einen zusätzlichen Ausdruck hinzufügen konnte, ohne ihre bisher schon bestätigten Vorhersagen zu verändern. Einer der großen frühen Erfolge der Theorie war ja etwa die korrekte Beschreibung der Bewegung des Planeten Merkur – etwas, das mit den alten Newton'schen Gravitationsgleichungen nicht möglich war. Und auch mit den modifizierten Gleichungen von Einstein war es immer noch möglich, Merkurs Bahn richtig vorherzusagen. Auf kosmischen Skalen beschrieb der neu eingeführte Ausdruck – die sogenannte kosmologische Konstante – aber nun eine Art "Gegenkraft"; einen "Druck", der der Gravitationskraft entgegenwirkt und aus dem dynamischen Universum der Relativitätstheorie ein statisches Universum macht.

Dynamischer Kosmos

Diese Korrektur der Einstein'schen Gleichungen brachte die Theorie wieder mit den Beobachtungen in Einklang. Aber schon wenige Jahre später zeigte sich, dass eine Korrektur gar nicht nötig war. Nicht die Theorie war das Problem, sondern die Daten: Das Universum war gar nicht statisch. Ende der 1920er-Jahre stellten der amerikanische Astronom Edwin Hubble und seine Kollegen fest, dass der Kosmos sehr wohl dynamisch ist. Das Universum expandiert, und alle fernen Galaxien bewegen sich von uns fort – umso schneller, je größer ihr Abstand von uns ist. Es braucht keine kosmologische Konstante, um aus dem dynamischen Universum ein statisches zu machen. Einstein hatte sich geirrt.

Die Legende besagt, dass Albert Einstein die Einführung der kosmologischen Konstante als seine "größte Eselei" ("biggest blunder") bezeichnet hatte. Dafür gibt es allerdings keine historischen Belege, und es ist mehr als wahrscheinlich, dass es sich dabei um eine Erfindung oder zumindest eine Übertreibung seines Kollegen George Gamow handelt. Und bei näherer Betrachtung gibt es auch gar keinen Grund für solch starke Worte. Einstein selbst war sich schon vorher darüber im Klaren gewesen, dass es die Konstante vielleicht gar nicht braucht. In einem Brief an den niederländischen Astronom Willem de Sitter erklärte er, dass die Gleichungen der Relativitätstheorie die Einführung der kosmologischen Konstante definitiv zulassen, ganz unabhängig von irgendwelchen Beobachtungsdaten. Ob diese Konstante aber einen von Null verschiedenen Wert hat, würden, so Einstein, aber wohl erst zukünftige Messungen der Bewegung von Sternen zeigen.

Einstein rudert zurück

Nachdem Hubble die Expansion des Universums entdeckt hatte, entfernte Einstein die kosmologische Konstante wieder aus seinen Gleichungen. Damit waren aber nicht alle seiner Kollegen einverstanden. Denn das war gleichbedeutend damit, den Wert der Konstante exakt auf Null festzulegen. Das erschien vielen Wissenschaftern willkürlich und unmotiviert. Immerhin hatte Einstein selbst demonstriert, dass die kosmologische Konstante ein Teil der Gleichungen ist, mit denen sich so erfolgreich Raum und Zeit beschreiben lassen. Wenn der Rest der Gleichung so offensichtlich eine physikalisch-kosmologische Bedeutung hat, dann wäre es überraschend, wenn das gerade bei der kosmologischen Konstante nicht der Fall ist. Und es sei verfrüht, in ihr nur eine irrelevante mathematische Kuriosität zu sehen, die einfach gleich Null gesetzt werden kann.

Als in den 1930er- und 1940er-Jahren die Quantenmechanik immer besser verstanden wurde, wiesen immer mehr Forscher darauf hin, dass man im Rahmen dieser neuen Theorie der Materie auch dem Raum selbst eine Energie zuweisen könnte. Der belgische Astronom Georges Lemaître, der noch vor Edwin Hubble gezeigt hatte, dass sich das Universum ausdehnen muss, schrieb darüber in einem Artikel aus dem Jahr 1934: Wenn der Raum selbst Energie trägt, dann hätte das einen Effekt auf das Universum, der genau durch Einsteins kosmologische Konstante beschrieben werden kann.

Nobelpreis 2011

Die Kontroverse über die Interpretation von Einsteins "Eselei" ging weiter und erreichte 1998 einen Höhepunkt. Zwei unabhängige Teams von Astronomen entdeckten, dass sich das Universum nicht nur ausdehnt, sondern sich sogar immer schneller ausdehnt! Das widersprach dem, was man bis dahin angenommen hatte. Man ging davon aus, dass die Gravitationskraft der gesamten Masse im Kosmos dessen Expansion immer weiter verlangsamt. Die Beobachtungen aber zeigten genau das Gegenteil. Man gab dem Phänomen den Namen Dunkle Energie, und die beteiligten Forscher erhielten für die Entdeckung der beschleunigten Expansion des Universums 2011 den Physiknobelpreis.

Was die Ursache für die immer schneller werdende Ausdehnung des Kosmos ist, ist unbekannt. Aber alle bisherigen Daten zeigen, dass sich die Dunkle Energie genau so verhält, wie Albert Einstein es mit seiner kosmologischen Konstante 1917 mathematisch beschrieben hat. Sein Irrtum bestand also nicht darin, diesen Ausdruck in die Gleichungen eingefügt zu haben. Die Motivation dafür mag zwar in der falschen Vorstellung eines statischen Universums gelegen haben, aber mit seiner mathematischen Einsicht, dass die Relativitätstheorie eine kosmologische Konstante zulässt, lag Albert Einstein absolut richtig.

Irrtum im Irrtum

Sein Irrtum lag vielmehr darin, die kosmologische Konstante später einfach wieder zu ignorieren und auf Null zu setzen. Das allerdings ist ein Irrtum, den man Einstein kaum vorwerfen kann. Mathematische Gleichungen sind das eine; ihre physikalische Interpretation das andere. Vor 1917 gab es kaum die technischen Möglichkeiten um festzustellen, dass sich das Universum ausdehnt. Und als Hubble diesen Effekt entdeckte, waren die Messungen immer noch viel zu ungenau, um die beschleunigte Expansion zu bemerken. Einstein hatte völlig recht damit, die kosmologische Konstante in seine Formeln mit aufzunehmen. Welchen Wert diese Konstante aber konkret hat, ließ sich ohne ausreichend genaue Beobachtungsdaten nicht bestimmen. Es war falsch, sie einfach gleich Null zu setzen. Und auch heute sind wir uns bei weitem noch nicht sicher, ob wir ihr den richtigen Wert gegeben haben. Bei der physikalischen Interpretation der Dunklen Energie stehen wir immer noch ganz am Anfang.

In den nächsten Jahren und Jahrzehnten werden wir weiter das Universum beobachten und Daten sammeln. Wir werden besser verstehen, wie sich die kosmologische Konstante verhält und was der dunklen Energie zugrunde liegt. Das, was Einstein vor mehr als 100 Jahren mit seinem scheinbaren Irrtum angestoßen hat, ist noch lange nicht zu Ende. Seine "Eselei" hat das Potenzial für viele weitere große Entdeckungen. Und Irrtümer. (Florian Freistetter, 18.9.2018)