Natürlich kann so ein Longjog fad sein. Stinkfad. Und weil es ein Logjog ist, dauert das Stinkfad ein bisserl länger: Man muss kein Mathematikass sein, um sich auszurechnen, wie lange man unterwegs sein wird, wenn auf dem Plan 28 Kilometer im Grundlagenbereich stehen – und man nach zehntägiger verletzungsbedingter Laufpause beim ersten leichten und kurzen Probelauferl sofort gespürt hat, dass man halt erst wieder reinkommen muss: Ich habe heuer noch was vor. Nix Schnelles, aber was Längeres. Dafür brauche ich Kilometer in den Beinen: Ein 28-Kilometer-Sonntagslauf ohne Druck ist da genau richtig.

Foto: thomas rottenberg

Wenn aber alle Laufbuddies entweder in Berlin den Marathon laufen, selbst verletzt sind oder gerade (oder sowieso) in anderen Temposphären unterwegs sind, wird draus ein Solo.

Manchmal kann das fein sein. Manchmal. Aber ich bin bei meinen letzten langen Läufen (sei es beim Icebug-Westcoasttrail in Schweden, sei es bei den Vorbereitungs-Trailereien im Wienerwald) dermaßen mit Bildern, Landschaften und Eindrücken verwöhnt worden, dass ich Standardrunden derzeit halt nur runterspule: Ich lese Graffitis, habe Zeit, den Kopf leer zu kriegen, Gedanken zu schlichten. Mein Körper freut sich über die Bewegung. Trotzdem: Fad ist fad. Und manchmal weiß man das sogar schon vorher.

Foto: thomas rottenberg

Das ist gut und schlecht zugleich. Schlecht, weil man dann immer Ausreden findet: zu warm, zu kalt, zu früh, zu spät. Zu viel oder zu wenig geschlafen. Das "richtige" Shirt ist in der Wäsche. Die richtigen Schuhe in einem Umzugskarton … und so weiter. Der Tag plätschert dahin – und wer sitzt, bleibt sitzen. Als Isaac Newton 1687 sein erstes Axiom formulierte, dachte er wohl nicht an Couchpotatoeism. Trotzdem passt der Satz, dass jeder Körper, auf den keine Kraft ausgeübt wird, bestrebt ist, seinen momentanen Bewegungszustand beizubehalten.

Der Trick lautet also, so viel Druck aufzubauen, dass sich die Bewegung ändert. Vor der physischen kommt virtuelle Kraft: die Idee. Die Aufgabe.

Der Klassiker wäre: ein Wettkampf. Irgendein Bewerb. Derzeit ist Hochsaison: Wer will, der könnte jeden Tag – nicht nur am Sonntag – aus zwei, drei oder mehr Events wählen. Oder sich was einfallen lassen.

Foto: thomas rottenberg

Etwa Läufe "abzuklappern", die der Kalender ausspuckt: Im Prater rennt immer irgendwer. Und auch wenn ich die Runde der diversen Sommer- und Winterlaufserien vermutlich mit geschlossenen Augen laufen könnte, ist es immer nett, Freunde und Bekannte zu treffen.

Sei es als aktiver Teilnehmer, sei es als Zuschauer: Mit das Gute an den Läufen auf dieser "klassischen" Runde hier ist ja, dass immer noch Platz für alle anderen ist – wenn man nicht unbedingt am Anfang das Hauptfeld begleiten will.

Foto: thomas rottenberg

Diesen Sonntag war es der Babenbergerlauf des LCC: Ein paar Hundert Läuferinnen und Läufer gaben sich über 5, 10 und 15 Kilometer die Kante – oder liefen die Halbmarathondistanz. Gleich beim Einbiegen auf die Hauptallee merkte ich: Motivationstechnisch macht es – zumindest für mich – einen Unterschied, ob ich allein dahintrabe oder ob da ein paar Leute sind, die das gleiche Tempo und den gleichen Rhythmus gehen: Manchmal bin ich lieber allein. Manchmal nicht.

Foto: thomas rottenberg

Schon auf dem Weg Richtung Lusthaus war mir – knapp hinter "Moneymaker" Alexander Rüdiger – meine Vereinskollegin und Ironman-Buddy Monika Kalbacher entgegengekommen.

Monika rennt derzeit alles in Grund und Boden: Vor eineinhalb Jahren habe ich sie auf Halbmarathondistanzen noch pacen können, heute bin ich froh, wenn sie mich bei drei 7-k-Runden nicht überrundet. Hier, beim Babenbergerlauf, wartete ich dann hinter dem Zielbogen (als Nichtteilnehmer lief ich natürlich außen herum) auf sie: Moni gewann die Damenwertung über den 10er souverän, ärgerte sich über eine Zeit, die in diesem Leben nicht viele Menschen schaffen, wartete bis ihr Freund Nick eine halbe Minute später ins Ziel kam – und sah in der nächsten Sekunde so frisch aus, als hätte sie sich genau gar nicht angestrengt.

Foto: thomas rottenberg

Ich freute mich mit und für sie. Aber: Neidig bin ich schon. Auch wenn ich weiß, dass nicht alles, was locker aussieht, auch wirklich locker ist, sondern harte und konsequente Arbeit dahintersteckt.

Etwa ein 28 Kilometerlauf, wenn man eigentlich gar nicht will: Ich lief also weiter, merkte, dass ich mich von ein paar "Babenbergern" zu sehr in ein Tempo locken ließ, das heute nicht meines sein durfte, bog unter der Tangente ab, lief über Hundezone und Jesuitenwiese zur Rotundenbrücke und dann den Donaukanal entlang stadteinwärts.

Foto: thomas rottenberg

Es war ziemlich genau elf Uhr. Um Punkt elf würde beim Hermannstrand der Startschuss für den Donaukanallauf (korrekt: "33. Landstraßer Bezirkslauf – 11. Donaukanallauf") abgefeuert werden. Das Feld würde mir irgendwo entgegenkommen, also hielt ich mich am Rand des Weges und wich auf die Wiese aus, als der dichteste Pulk kam. Sogar auf dem schmalen Weg ist das keine Hexerei: Wenn man will, geht es sehr gut. Wenn man nicht will, kann man aus allem ein Problem machen.

Foto: thomas rottenberg

Das Einem-Lauf-Entgegenrennen hat einen Vorteil: Man sieht alle Läuferinnen und Läufer, kann Freunden und Bekannten zuwinken und Wildfremde anfeuern. Außerdem setzt man sich nicht dem Vorwurf aus, eine Party zu "crashen", zu der man nicht eingeladen ist oder wo man den Eintritt nicht gezahlt hat.

Foto: thomas rottenberg

Der Nachteil: Wenn das Feld durch ist, ist es durch. Im Nachhinein fragte ich mich, ob es mir nicht doch mehr Spaß gemacht hätte, auf der anderen Donaukanalseite – also im zweiten Bezirk – zu warten, bis die Läufer dort vorbeikommen würden und dann ein Stück mitzulaufen.

Nur: Da hätte ich rechnen müssen. Und dafür bin ich schlicht und einfach zu faul.

Foto: thomas rottenberg

Nach dem Donaukanallauf hatte ich etwa 14 Kilometer beisammen. Halbzeit. Ich spürte, dass ich halbwegs zügig unterwegs sein konnte, wenn ich wollte, ging aber bewusst vom Gas.

Zum einen, weil ich dem Nichteinsetzen der Schmerzen noch nicht ganz traue. Zum anderen, weil ich wusste, was jetzt kommen würde. Nix Hartes, aber ein bisserl mehr als flockiges Herumgejogge im Flachen.

Foto: thomas rottenberg

Denn ab der Spittelau, etwa bei Kilometer 16,5, ging es sanft bergauf. Zunächst die Rampe zur Müllverbrennung, dann (wieder flach) durch das Stationsgebäude und über den mittlerweile grindig-gesprayten Tunnel mit dem nur leicht euphemistischen "Skywalk" über den Gürtel – und dann zur Peter-Jordan-Straße: Immer hübsch bergauf bis zum Linnéplatz. An der Boku vorbei – in den Türkenschanzpark.

Foto: thomas rottenberg

Hier war mein drittes Ziel. Der dritte Lauf: der Vienna Charity Run. Der fand heuer zum fünften Mal statt, und ich hatte es, trotz der allerbesten Vorsätze, bisher nie hierhergeschafft.

Dass das ein Fehler war, hatten mir schon viele Leute gesagt – jetzt und hier verstand ich aber wieso: Der Lauf unterscheidet sich von vielen anderen Charity-Läufen – nicht nur, weil es hier wirklich um das Sammeln von Geld geht. Und zwar für die mobile Betreuung des Sterntalerhofes.

Foto: ©Martin Grotter / Charity Sports

Natürlich wird beim Vienna Charity Run gelaufen, und natürlich gibt es am Schluss Sieger und Siegerin. Nur ist das hier nicht wichtig: In der Presseaussendung der Veranstalter (im Bild der Lauf-"Erfinder" Christoph Vetchy (rechts) mit Milica Relota und Clemens Prokschi – die, so wie alle anderen Mitwirkenden, hier zu 100 Prozent ehrenamtlich arbeiten) stehen weder ihre Namen noch ihre Zeiten oder Strecken: Stattdessen wird nicht, wie bei so vielen anderen Events nebulos bloß "für den guten Zweck" gesagt, sondern ausführlich erklärt, wofür und für wen genau gespendet und gesammelt wird.

Foto: thomas rottenberg

Darüber hinaus zählt, dass hier alle Spaß haben: Läufer wie Nordic Walker, Familien mit Kinderwägen, Kinder oder Spaziergänger mit Hunden – oder einfach nur "Im-Gras-Sitzer". Gelaufen wird auf einem hügeligen Rundkurs über eineinhalb Kilometer – und es gibt keine Zeitnehmung. Dafür bekommt man nach jeder Runde einen Aufkleber auf die Startnummer. Jeder und jede startet, wann es passt (ich bin gegen 12 Uhr eingestiegen – offizieller Start war um 9), und rennt, so lange es Spaß macht. Wer am Ende die meisten Pickerln hat, hat halt gewonnen, aber vor allem am meisten Geld für den Sterntalerhof gesammelt: Die Sponsoren zahlen für jede absolvierte Runde. Heuer, im fünften Jahr, freute sich Vetchy, habe man mit über 1.600 Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Gesamtspendensumme von 100.000 Euro "geknackt".

Foto: thomas rottenberg

Einer, der sich da richtig reingehängt hat, ist mein Vereinskollege Markus Steinacher (rotes Shirt): Markus rückte nicht nur mit einer 25-köpfigen Läufer- und Läuferinnentruppe an, hielt an den Tagen vor dem Event Laufworkshops und Lauftechniktrainings im Park ab, sondern legte mit 36 Runden (54 Kilometer, fast 1.000 Höhenmeter) auch die längste Strecke zurück – exakt so viele wie die eifrigste Läuferin, Sabine Kernbichler, vom Verein Freunde des Laufsportes. So nebenbei lief er hier auch mit ständigem Blick auf die Uhr: "Ich laufe so lange, bis mein Puls das erste Mal über 130 geht." – Auch eine Form, die Kunst des Langsamlaufens zu üben.

Foto: thomas rottenberg

Meine 28 Kilometer habe ich dann hier vollgekriegt. Ohne Druck, entspannt. Mit viel Lachen, Plaudern und Spaßhaben. Und mit 1.000 fröhlichen Menschen rund um mich, die einfach einen schönen Sonntag mit etwas Sinnvollem verbanden: So muss laufen. Genau so. (Thomas Rottenberg, 19.9.2018)

Anmerkung im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Selbstverständlich wurde die Startgebühr beim Vienna Charity Run vom Autor voll bezahlt.

Foto: thomas rottenberg