Jörg Wojahn im Kommentar der anderen: Im Gegensatz zu anderen vergisst Europa über der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit dem Nachbarkontinent auch auf Entwicklung und Menschenrechte nicht.

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Ende August musste Bundeskanzler Sebastian Kurz den von ihm selbst zu Sommerbeginn noch groß angekündigten Afrika-Gipfel zum Thema Migration zu einem eigenartigen "Wirtschaftsförderungsforum" umetikettieren, da sich für seine Gipfelidee niemand anderer erwärmen konnte. Das hindert jedoch die türkis-blaue Regierung in keiner Weise daran, weiterhin mit einem angeblichen "EU-Afrika-Gipfel" hausieren zu gehen. Besonders ärgerlich dabei: Nahezu alle Medien fallen darauf rein und beten die Falschmeldung nach.

Kurz vor Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft wurde in Österreich die Idee zu einem Gipfel mit Afrika geboren. Der aus Italien stammende EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani hatte Afrika thematisiert, und die Wiener Bundesregierung wollte oder konnte dem strammen Berlusconi-Parteigenossen der konservativen Forza Italia diese Idee nicht abschlagen. Im Überschwang hatte man jedoch übersehen, dass Gipfeltreffen mit afrikanischen Staatschefs nicht so schnell zu organisieren sind. Schon gar nicht, wenn all die möglichen Gipfelthemen seit Jahr und Tag längst auf der Agenda diverser anderer Treffen stehen.

Seit 2007 gibt es eine Gemeinsame Strategie Afrika-EU, die durch thematische und regionale Aktionspläne alle erdenklichen Problembereiche abdeckt. Damit verbunden ist auch ein ausgefeilter förmlicher Dialog auf mehreren Ebenen: Alle drei Jahre findet ein EU-Afrika-Gipfel auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs statt, dazu gibt es regelmäßige Treffen auf Ministerebene und schließlich auch noch Treffen zwischen den Kommissionen der EU und der Afrikanischen Union.

Zuletzt in Abidjan

Das letzte Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der AU und der EU fand übrigens gerade erst am 29./30. November 2017 in Abidjan, Côte d'Ivoire, statt. Das Leitthema waren Investitionen in die Jugend. Hätte man sich in Wien schlaugemacht, hätte man sich die Schmach der Absage eines förmlichen Gipfels mit Afrika erspart. Da man sich aber diesen Fehler bis heute nicht eingestehen will, erfand man kurzerhand ein "Afrika-Forum". Nach dem Motto: Irgendwas mit Afrika muss stattfinden.

Mit dieser Forum-Konstruktion tritt man die Flucht nach vorne an, da man bisher auch nicht wahrhaben wollte, dass es gar nicht beim amtierenden EU-Vorsitzland liegt, einen EU-Gipfel von sich aus zu veranstalten. Mit Inkrafttreten des EU-Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 liegen die Initiative wie auch der Vorsitz für solche Veranstaltungen in Brüssel. Die Hohe Vertreterin Mogherini bzw. der EU-Ratspräsident Donald Tusk geben den Takt vor. Österreichs Bundeskanzler Kurz kommt dabei keine tragende Rolle zu, er darf allenfalls den Grüßaugust spielen.

Auf afrikanischer Seite hat man für das Vorhaben einen kongenialen Partner ausgemacht: den amtierenden AU-Präsidenten Paul Kagame, seines Zeichens auch Präsident von Ruanda. Kagame hat in der AU ein ähnliches Problem wie Kurz: Beide möchten gern mehr sein, als das jeweilige Regelwerk hergibt. So werden also diese beiden zu einem Afrika-Forum nach Wien einladen. Wen sie einladen, weiß keiner.

"Visit Rwanda"

Dass Kagame immer wieder für unkonventionelle PR-Initiativen gut ist, hat er erst jüngst wieder unter Beweis gestellt: Das Entwicklungsland Ruanda hat 30 Millionen Pfund (etwa 34 Millionen Euro) dafür bezahlt, dass der britische Fußballverein Arsenal die nächsten drei Jahre das Logo "Visit Rwanda" auf dem linken Trikotärmel seiner Spieler anbringt. Das ist viel Geld in einem Land, wo das jährliche Pro-Kopf-Einkommen laut Weltbank bei rund 700 Dollar liegt (zum Vergleich Österreich: 47.000 Dollar).

Während man in Wien also von der ominösen Idee eines "Gipfel-Forums" träumt, läuft in der realen Welt die seit Jahrzehnten etablierte Zusammenarbeit der EU mit den afrikanischen Staaten Gefahr, im Hickhack um die beginnenden Post-Cotonou-Verhandlungen unter die Räder zu kommen. Die seit 1975 bestehende Zusammenarbeit mit zwischenzeitlich 79 Staaten aus Afrika, der Karibik sowie aus dem Pazifik (AKP) bildet den Dreh- und Angelpunkt für die europäische Entwicklungszusammenarbeit. Die Vorbereitungen für die Nachfolgeregelung des im Februar 2020 auslaufenden Abkommens sind im vollen Gange, und Verhandlungen hätten schon Ende August beginnen sollen.

Es hapert aber bei der Gruppe. Die afrikanischen Staaten meinen, ein besseres Verhandlungsergebnis erzielen zu können, wenn sie nur noch als Afrika – vertreten durch die AU – auftreten. In dieser kritischen Phase bräuchte es eine besonnene und gleichzeitig tatkräftige EU-Präsidentschaft. Stattdessen gießt der Bundeskanzler mit seinem angekündigten EU-Afrika-Forum im Dezember zusätzlich Öl ins Feuer, ist doch gerade sein neuer politischer Freund Kagame einer der Rädelsführer im aktuellen AKP-Streit. (Stefan Brocza, 18.9.2018)