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Der Großteil Ruandas ist Hochland und liegt über 1.000 Meter. Die Einheimischen nennen es "Land der tausend Hügel".

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Vor allem der Süden Ruandas erinnert an saftige Almlandschaften – wären da nicht die quietschgrünen Teefelder.

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Der Vulkan-Nationalpark im Nordwesten Ruandas besteht bereits seit 1969. Dort und in allen anderen Landesteilen sind Tänze integraler Bestandteil der ruandischen Gesellschaft.

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Dafür nimmt man die weite Anreise zu den Hängen der ruandischen Vulkane in Kauf: Berggorillas und ...

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... aus Stroh geflochtene Villen.

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Noch immer denken viele bei Ruanda an den schrecklichen Bürgerkrieg vor mehr als 20 Jahren. Doch das ostafrikanische Binnenland hat einen enormen Wandel hinter sich. Das World Economic Forum listet Ruanda als das sicherste Land Afrikas – und als neuntsicherstes der Welt. Präsident Paul Kagame regiert den Staat seit 18 Jahren nach dem Vorbild Singapurs: keine nennenswerte Opposition, kaum kritische Presse, allerdings auch wenig Korruption und ein starkes Wirtschaftswachstum.

Nach den Wahlen Anfang September 2018 schafften es erstmals zwei Abgeordnete der Opposition ins Parlament. Am augenscheinlichsten ist der touristische Aufschwung – vor kurzem haben die jährlichen Besucherzahlen die Ein-Millionen-Grenze überschritten. Kein Wunder, denn auf einer Fläche etwas größer als Slowenien erleben Reisende ein enorm facettenreiches Land.

Saubere Sache

Ruanda überrascht schon beim ersten Blick aus der Flugzeugkabine. Das Land ist grün, liegt im Durchschnitt 1.500 Meter hoch und erinnert weniger an kenianische Savannen als an Schweizer Alpenwiesen. Der Vergleich mit dem europäischen Sauberstaat drängt sich auch im Alltag auf. Zollbeamte nehmen Passagieren, die mit einem Plastiksackerl einreisen, selbiges sofort ab. "Sorry, Sir, verboten." Die Straßen sollen supersauber bleiben, wozu auch der Umuganda, eine Art Kehrtag, beiträgt: An jedem letzten Samstag im Monat müssen alle Einwohner des Landes drei bis vier Stunden lang gemeinnützige Arbeit verrichten – sei es im Krankenhaus aushelfen oder die Gehsteige kehren. Frischgestrichene Häuser prägen deshalb auch fast immer die kleinen Orte entlang der Hauptstraßen.

Lange Geschichte

Jahrhundertelang herrschten Stammesfürsten über das ostafrikanische Land. Von der Akagera-Ebene im Osten bis zum Kivusee im Westen erstreckte sich ihr Gebiet, das in groben Zügen dem heutigen Ruanda entspricht. Rund 100 Kilometer südlich der Hauptstadt Kigali sehen Reisende, wie die früheren Herrscher gelebt haben. In der alten Hauptstadt Nyanza wurde eine Replika des ehemaligen Hofs aufgebaut, ein Komplex mit drei überdimensionalen Strohhütten, die wie Halbkugeln aus dem lehmigen Boden hervorschauen.

Der König bewohnte die größte von ihnen mit seiner Frau, allein das Bett ist gut fünf Quadratmeter groß. Am unteren Ende liegen ledrige Matten. "Hier haben der König und die Königin miteinander geschlafen." Der junge Mann, der als Guide arbeitet, erklärt die Beschaffenheit der abwischbaren Oberfläche mit einer Ernsthaftigkeit, als handle es sich um kostbaren Damast. Am oberen Bettrand weist er auf einen Krug hin: Der war morgens mit Bier gefüllt. So stieg der König gleich gutgelaunt aus den Decken.

Dunkles Kapitel

In Nyanza lassen sich auch die klassischen Intore-Tänze bewundern. Mit dem "Tanz der Krieger" wurde einst dem König durch eine sehr komplexe Choreografie vom Sieg in einer Schlacht berichtet. Die Aufführungen sind bis heute nicht zur reinen Folkloredarbietung verkommen, sondern äußerst kunstvoll. Das hängt auch damit zusammen, dass schon 1974 in Nyanza ein ruandisches Nationalballett gegründet wurde, das sich des äußerst facettenreichen tänzerischen Kulturerbes des Landes annimmt.

Im 19. Jahrhundert kamen die Deutschen, im Ersten Weltkrieg die Belgier – und mit den Kolonialherren die Klassifizierung in Volksgruppen. Hutu, Tutsi, Pygmäen. Diese Unterteilung sehen Historiker als Grundlage für den späteren Genozid an. Das lernen Besucher im Genocide Memorial in Kigali, ein qualvoller wie notwendiger Besuch, um das Land zu verstehen.

Darüber hinwegkommen

Zwischen April und Juli 1994 fand der organisierte Massenmord an der Tutsi-Minderheit und an gemäßigten Hutu statt, die Hutu-Propaganda klingt schmerzhaft vertraut: "Wer eine Tutsi zur Frau nimmt, ist ein Verräter!" Etwa eine Million Menschen starben in nur drei Monaten, zwei Millionen flüchteten ins Ausland, 300.000 Kinder wurden zu Waisen. In einem Saal sind Schädel von Opfern unter Glas aufgereiht, Einschusslöcher oder Wunden von Macheten sind deutlich sichtbar. Im letzten Raum hängen Kinderfotos, dazu kurze Steckbriefe. Franzine (12), mochte Schwimmen, Eier und Pommes frites, wurde von Macheten zerstückelt.

Wie konnte das Land nach dem Genozid zu dem werden, was es heute ist? Indem man die von Kolonialisten eingeführte Klassifizierung offiziell abschaffte und regelmäßige Versammlungen zur Konfliktlösung einberief. Bis heute finden diese periodisch statt.

Urbanes Leben

Kigali ist die einzige Stadt in Ruanda, die diese Bezeichnung verdient. Moderne Bankpaläste wechseln einander mit Häusern, die nur wenige Geschoße aufweisen, in den Einkaufsstraßen ab, das neue Kongresszentrum protzt mit einer schicken Glaskuppel. An den Hängen kleben Villen, Reihenhäuser oder Hütten – je nach Einkommenslage. Ein historisches Zentrum gibt es nicht, da Kigali erst nach der Unabhängigkeit 1962 Hauptstadt wurde.

Waldgrüne Hügel, karmesinrote Erde, die Hauptstadt ist eine Gartenmetropole. Schattenspendende Nadelbäume säumen breite Alleen, großzügig angelegte Fußgängerwege führen an ihnen entlang, und moderne Busse verknüpfen die 1,2 Millionen Menschen miteinander, seit neuestem mit einem offenen WLAN-Netz an Bord. Am Caplaki-Markt kaufen Touristen Kunstgewerbe ein, im Stadtteil Kiyoru residiert der Präsident, Nyamirambo ist bekannt für seine muslimische Bevölkerung und die Milchbars, in denen aus Stahlkanistern frische Buttermilch serviert wird.

Kulinarisches Erbe

Auch in der Gastronomie besinnt sich Ruanda auf seine Wurzeln. In Kigali gehen die Menschen in die sogenannte Restaurant Row, eine Straße, in der es beliebte Lokale wie Africabite und Repub Lounge gibt, die Gerichte mit Kochbananen, Schmorfleisch und Fischcurry anbieten. Wer sich traut, kann fermentiertes Banana Beer in einem der vielen kleinen Shops probieren. Vorsicht: ziemlich süß!

Im "Heaven" am Kiyoru-Hügel arbeiten nur Menschen, deren Eltern während des Genozids umkamen. Die Initiative stammt von dem amerikanischen Gründerpaar Alissa und Josh Ruxin. Auf der großen Terrasse mit Blick in den Garten treffen sich am Wochenende Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen, ruandische Familien und ausländische Touristen zum Brunch. Zu den Neuinterpretationen der Küche gehören Spaghetti mit würzigem Ziegenfleisch oder Tagliatelle mit Königskrabben-Curry.

Ruhiges Tempo

Langsam, langsam. So geht es auch auf den gut ausgebauten Straßen weiter, obwohl der Verkehr übersichtlich ist. Eine Tour durch Ruanda ist eine kurvenreiche Angelegenheit. Das "Land der tausend Hügel" nennen Einheimische wie der Fahrer Innocence ihre Heimat. Was in der Praxis bedeutet: das Land der tausend Serpentinen. Selbst bei wenig Verkehr tritt Innocence lieber auf die Bremse als aufs Gas. Was zwei Gründe hat. Kinder auf dem Heimweg von der Schule marschieren oft auf der Straße oder sausen auf klapprigen Rädern die Kurven herunter. Außerdem kontrollieren Polizisten manchmal an den unmöglichsten Punkten. Die Gesetzeshüter wollen keine Schmiermittel, sondern ziehen lieber gleich den Führerschein ein.

Majestätische Kegel

Die Virunga-Berge im Norden sind eine ständige Mahnung an die schöpferische und zerstörerische Kraft der Natur. Bis zu 4.500 Meter erheben sie sich aus dem Urwald in die Höhe, dazwischen Vulkanungetüme, die teilweise noch aktiv sind. Viele Reisende nehmen die drei Stunden Fahrt von Kigali auf sich, um im Nationalpark auf einen der steil aufragenden Kegel zu wandern. Beliebt ist die Tour zum Bisoke, 3.770 Meter hoch. Oben erwartet die Besucher ein spektakulärer Ausblick, denn der gesamte Krater ist heute ein 100 Meter tiefer und rund 400 Meter breiter See. Die sechsstündige Tour beginnt morgens am Eingang des Nationalparks, wo Besucher einen Tagespass lösen müssen (rund 65 Euro) und einer kleinen Gruppe zugewiesen werden.

Gegenüber dem Vulkan sind Ufos gelandet. Wenigstens sieht es danach aus. Sieben strohgeflochtene Riesenovale kleben in Bisate am Hang und erinnern an eine ausgemusterte Sternenflotte. Die verwunschene Hüttenarchitektur erinnert an die Paläste von Nyanza, die Inneneinrichtung verströmt Ethno-Chic für vermögende Touristen. Ein Kamin aus schwarzem Vulkangestein spendet Wärme, helles Parkett federt die Schritte ab, im Restaurant fällt Licht durch einen Kronleuchter aus recycelten Flaschen. Als Donna Karan hier übernachtete, wollte sie Teile der Einrichtung kaufen und nach New York mitnehmen. Man hat freundlich abgelehnt.

Nächste Verwandte

Die größte Attraktion des Landes sind die seltenen Berggorrillas an den Hängen der Vulkane. Rund 1,000 leben noch in Familienverbänden. Die amerikanische Forscherin Dian Fossey hat jahrzehntelang für ihren Schutz gekämpft, bis Unbekannte sie 1986 im Nationalpark umbrachten.

Der Zugang zu den Menschenaffen ist limitiert, nur acht Touristen dürfen je eine Gorillafamilie besuchen, maximal 96 Touristen pro Tag. Der Preis für eine von Nationalparkwächtern geführte Tour ist heftig angestiegen – auf umgerechnet rund 1.300 Euro pro Person. Damit will das Land die Kosten für Naturschutz und Grenzsicherung decken.

Schnell und laut

Eine Stunde Trekking durch den Regenwald auf 2.500 Metern Höhe. Ein Silberrücken – er mampft Bambussprösslinge in sich hinein, fläzt sich auf das Unterholz, als wäre es ein Fernsehsessel. Ein Weibchen säugt ihr Jungtier und guckt gelangweilt auf die Zweibeiner: Wieso weint die eine Frau jetzt? Ruhig, würdevoll, leise bewegen sich die Tiere.

Bei den Schimpansen im Süden des Landes erleben Besucher das Gegenteil. Die Primaten bewohnen Teile des Nyungwe-Urwalds, sind schnell, erratisch und laut. Schimpansen leben im Gegensatz zu den Gorillas vorwiegend auf Bäumen und kommen in der Morgendämmerung herunter. Die Tiere sind scheuer als ihre großen Verwandten und gemeiner. Wenn in den Wipfeln eine Meerkatze den Schimpansen zu nahe kommt, kann es passieren, dass sich die großen Affen einen kleinen schnappen – und ihn verspeisen. Die Verwandtschaft zu den Menschen scheint durch: Sie sind Allesfresser.

Grünes Wunder

Der Nuyngwe-Wald gehört zu den ältesten und größten zusammenhängenden Wäldern Afrikas. Er macht fast zehn Prozent von Ruanda aus und steht komplett unter Naturschutz. Nyungwe beginnt dort, wo die Reihenmuster der Teeplantagen aufhören und die Bäume wild in den Himmel schießen. Eine Straße führt quer durch den Urwald, auf der auch das Nationalparkhauptquartier liegt. Von dort beginnen die Wanderwege in den Park, auch dieser darf nur mit Rangern betreten werden.

Um die Dimension des Waldes aus der Höhe erahnen zu können, hat die Naturschutzbehörde eine 200 Meter lange Hängebrücke über den Wipfeln errichtet – die einzige in Ostafrika. Von ihr aus erstreckt sich der Blick kilometerweit über die Baumkronen. Gar nicht so weit weg von hier spielt Joseph Conrads berühmter Urwaldroman Herz der Finsternis. In einer Landschaft, die den Erzähler an eine Zeit erinnert, "als noch die Pflanzen zügellos die Erde überwucherten und die großen Bäume Könige waren". Von der leicht wackelnden Konstruktion aus versteht man schnell, wie klein sich ein Mensch in diesem Gewimmel von Königsbäumen fühlen kann.

Blaues Wunder

An den Vulkanhängen gedeihen die Früchte des Landes, aus dem See kommt ein Schatz. Der knapp 90 Kilometer lange und bis zu 480 Meter tiefe Kivusee stellt für den Staat eine natürliche Grenze zum Nachbarn dar, der Demokratischen Republik Kongo. Aus der Tiefe fördern Maschinen Erdgas.

Die Plantagenbesitzerin Rosamond Halsey Carr, eine Freundin von Dian Fossey, schrieb Ende der 1990er-Jahre in ihren Memoiren: "Kunstvolle europäische Villen, verziert im Überfluss mit Hibiskus und Oleander, reihten sich am Ufer aneinander, und Kaffeefabriken waren versteckt hinter Hainen von Orangen-, Zitronen- und Grapefruitbäumen." Diese Kolonialfantasie ist im nördlichen Kisengi noch zu erahnen. Manch Herrensitz beherbergt heute ein Hotel, Palmen wachsen am Strand, wo das spiegelglatte Wasser zum Baden einlädt. Es sieht aus wie ein ruhiger Abschnitt der italienischen Riviera.

Seit kurzem gibt es die Möglichkeit, den Kivusee mit einem Kanu zu erkunden. Man paddelt an den Anlegestellen vorbei, wo Boote aus dem Nachbarland ihre Waren anbieten, die Fischer Netze trocknen und schwangere Frauen einen Expresstransport zur nächsten Bucht einfordern. Der Blick geht hinüber zur anderen Uferseite. In der Demokratischen Republik Kongo bleiben die Touristen wegen der instabilen politischen Lage aus. (Ulf Lippitz, 18.11.2018)