Das Innere des riesigen Flüssigargon-Neutrino-Detektors ProtoDune. In den USA wird bereits an einem 20 Mal größeren Detektor gebaut.

Foto: Cern

Meyrin – Neutrinos zeigen normalerweise kaum Neigung, mit herkömmlicher Materie in Wechselwirkung zu treten. Das liegt unter anderem daran, dass sie annähernd masselos und elektrisch neutral sind. Kein Wunder also, dass der Aufwand, um ein solches geisterhaftes Teilchen nachzuweisen, enorm ist. Eine neue Anlage kann nun erste Erfolge auf diesem Gebiet verbuchen: Der größte Flüssigargon-Neutrino-Detektor der Welt hat seine ersten Teilchenspuren aufgezeichnet. Gebaut wurde der ProtoDune-Detektor am Cern. Bei der riesigen Maschine handelt es sich um einen Prototyp für einen noch viel größeren Detektor, der in den USA realisiert werden soll.

Neutrinos zählen nach wie vor zu den rätselhaftesten Mitgliedern der Teilchenfamilie – und das obwohl sie eigentlich allgegenwärtig sind. Ein internationales Forschungsteam will diesen Teilchen mithilfe des "Deep Underground Neutrino Experiment" (Dune) auf den Zahn fühlen. Von den Ergebnissen erhoffen sie sich Antworten auf eine der größten Fragen der Physik.

Meilenstein mit einem Prototypen

Die Forschenden haben nun einen Meilenstein des Dune-Projekts geschafft: Einer von insgesamt zwei Prototypen für die Detektoren, die voraussichtlich ab 2026 Neutrinos vermessen soll, hat seine ersten Teilchenspuren aufgezeichnet, wie das Cern am Dienstag mitteilte. Der würfelförmige Prototyp ist schon so groß wie ein dreistöckiges Haus. Der richtige Detektor, der am Fermilab in den USA unterkommen soll, soll sogar noch 20-mal größer werden. Es ist das erste Mal, dass das Cern in Infrastruktur und Detektorentwicklung für ein Teilchenphysikprojekt in den USA investiert.

Zwei Jahre lang baute das Cern an diesem Prototypen. Weitere acht Wochen brauchte es, um den riesigen Würfel mit 800 Tonnen Flüssigargon zu füllen, das bei minus 184 Grad Celsius gehalten werden muss. Neutrinos kollidieren darin mit den Argon-Atomkernen, wobei geladene Teilchen entstehen. Diese Teilchen hinterlassen Ionisierungsspuren in der Flüssigkeit, welche sich mit modernster Messtechnik verfolgen lassen. Daraus kann man Rückschlüsse auf die Eigenschaften der Neutrinos ziehen. Ein zweiter Prototyp und der geplante zweite Detektor beruhen auf einer anderen Technologie.

Die großen offen Fragen der Physik

"Diese ersten Teilchenspuren zu sehen, ist ein großer Erfolg für die gesamte Dune-Kollaboration", erklärte Dune-Sprecher Stefan Soldner-Rembold von der University of Manchester. In den nächsten Monaten wollen die Wissenschafter den ProtoDune-Detektor eingehend testen. "Diese ersten Ergebnisse des ProtoDune sind ein schönes Beispiel, was man erreichen kann, wenn Labore weltweit zusammenarbeiten", ergänzte Cern-Direktorin Fabiola Gianotti. Die Forschung im Rahmen von Dune sei komplementär zur Forschung am Cern und zusammen hätten sie großes Potenzial, einige der offenen Fragen der heutigen Teilchenphysik zu klären.

Nicht nur die Neutrinos selbst, sondern auch ihre Antimaterie-Gegenstücke stehen im Fokus des Dune-Projekts. Indem Forschende die Eigenschaften von Neutrinos und Anti-Neutrinos untersuchen, wollen sie möglichen Unterschieden zwischen Materie und Antimaterie auf die Schliche kommen. Solche bisher unbekannten Unterschiede im Verhalten von Materie und Antimaterie könnten möglicherweise erklären, warum es im Universum fast nur Materie und kaum Antimaterie gibt. Beim Urknall sollten eigentlich gleich viel Materie und Antimaterie entstanden sein. Auch mehrere Experimente am Large Hadron Collider (LHC) am Cern befassen sich daher mit dem Vergleich von Teilchen und Anti-Teilchen. (red, APA, 18.9.2018)