Auf den ersten Blick haben die beiden nicht viel miteinander zu tun: Der Summer of Love datiert mit 1967, Punk mit 1977. Das eine steht synonym für Friede, Freude, wir ziehen einen Ofen durch, das andere für lärmige Revolution mit drei Akkorden und schlechten Zähnen. Elf Jahre später fanden die beiden Phänomene mithilfe von Technik und Chemie zueinander. Als Bindeglied fungierte Acid House.

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24 Hour Party People: die Haçienda in Manchester bei der angesagten Acid-House-Schiene "Hot" im Sommer 1988.
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Das war zuerst eine Musik, doch rasch wuchs daraus eine Bewegung. In ihr vermählte sich das Glücksgefühl der Sixties mit der Selbstermächtigung des Punk. So kam es zum Urknall der europä ischen Clubkultur moderner Prägung – es war ein Ventil zur rechten Zeit.

Denn in England wütete die rücksichtslose Politik der Margaret Thatcher. Sie schloss reihenweise Fabriken, und mit ihnen gingen die Zukunft und der Stolz der Working Class den Bach runter. Acid House war da eine willkommene Zerstreuung: Anstatt sich rund um die Uhr Sorgen zu machen, entfloh die Jugend der Hoffnungslosigkeit für ein paar Stunden auf dem Tanzboden.

Dort schlug diese Musik 1988 mit voller Wucht auf, der Sommer des Jahres wurde als Summer of Love einer neuen Generation ausgerufen. Während sich eine desillusionierte Jugend und verfeindete Hooligans im Rausch dieser neuen Musik solidarisch in den Armen lagen, sah das konservative England das Ende der Zivilisation nahen. Denn mit der Musik tauchte Ecstasy auf. Eine synthetische Partydroge, die die körperliche Wahrnehmung verändert, bestens mit der repetitiven Musik konveniert und bald zur Folklore der Clubkultur zählte.

Am Roland schrauben, ...

Entstanden war die Musik in Chicago – parallel zum Techno, dessen Wiege in Detroit stand. Nathaniel Pierre Jones alias DJ Pierre und Earl "Spanky" Smith schraubten damals an ihrem Roland TB-303. So hieß ein analoger Synthesizer aus den frühen 1980ern; sein spezieller Sound ermöglichte und prägte Acid House. Die beiden taten sie sich mit Herbert "Herb J" Jackson zusammen und gaben sich den wegweisenden Namen Phuture. Ihr elfminütiges Stück Acid Tracks gilt als erster Titel des Fachs: ein pumpendes, fiepsendes Stück Tanzmusik.

"Acid Tracks" von Phuture.
Leroy Skibone

1987 poppte Acid House in Ibiza auf. Dort spielten DJs die ersten Tracks aus Chicago, am Ende der Saison nahmen einige davon Infizierte den Sound mit heim auf die britische Insel. Die erwies sich als fruchtbarer Boden.

Schnell entstanden erste einschlägige Clubs. Oft waren es zweckentfremdete Locations wie das Shoom, das eigentlich ein Fitnessstudio war. Am Wochenende wurden Hantelstangen, Bank und Eisen verräumt, stattdessen Nebelmaschine, Stroboskoplicht und Plattenspieler angeworfen. Um diese meist illegalen Veranstaltungen zu bewerben, wurden Flyer verteilt – das Informationsmedium der Szene. Zuerst waren es einfach gestaltete, kopierte Zettel, wenige Jahre später aufwendige Vierfarbdrucke auf Hochglanzpapier. Früh tauchte auf den Flyern der Smiley auf. Das Emoji wurde zum Sinnbild für die Acid-Szene – für seine drogistisch verstrahlten, dabei glücklichen Nachtgespenster.

lauter drehen, ...

Der Zuspruch war gewaltig, die Clubs waren schnell zu eng. Aus der Not heraus entstanden die ersten Raves: Tausende fanden sich auf freiem Feld, in leerstehenden Fabrik- oder Lagerhallen ein, um abzutanzen. Smileys und erweiterte Pupillen überall, die Subkultur explodierte. Das hatte sich abgezeichnet.

MARRS mit "Pump Up The Volume".
4AD

Bereits 1987 hatte die Formation MARRS mit Pump Up The Volume eine manifeste Partyhymne veröffentlicht. Der Track wurde ein internationaler Hit und läutete die Zeitenwende ein. 1988 schossen dann Titel wie Theme From S-Express an die Spitze der britischen Charts, KLF veröffentlichten What Time Is Love?, der Damm war gebrochen, Acid House infiltrierte die Popmusik.

"Theme From S-Express"
Mr.Stranger

Ein Epizentrum war Manchester. Traditionell instrumentierte Bands wie die Happy Mondays schlugen dort Brücken in Richtung Dancefloor, der Club von New Order, die Haçienda, wurde zum Hauptquartier der ob ihres Irrsinns bald Madchester genannten Szene.

KLF mit "What Time Is Love?"
alainpapapingouin

Die Haçienda-Hausherren hatten 1983 mit Blue Monday einen Welthit gelandet, nun eigneten sie sich den neuen Sound ebenso an wie die Stone Roses, die Inspiral Carpets oder die mit ihrem Namen auf ein Nachfolgemodell des Roland TB-303 Bezug nehmenden 808 State. Nicht einmal ein misanthropischer Tanzmuffel wie Mark E. Smith von The Fall widerstand dem Boom: Selbst er veröffentlichte Alben, denen der Acid-House-Einfluss anzuhören war. Währenddessen sorgten Typen wie A Guy Called Gerald dafür, dass die Party nicht endete.

808 State mit "Pacific 97"
zttrecords

1989 fand in Berlin die erste Loveparade statt – quasi am Vorabend des Mauerfalls. Damit stand fest, dass der Kontinent ebenfalls infiziert war. House und vor allem Techno waren folglich die ersten musikalischen Westexporte in den ehemaligen Ostblock. Die Grenze zwischen Techno und House war ohnehin fließend, jene zwischen Tanz- und Rockmusik egalisierte 1991 die britische Band Primal Scream mit ihrem Album Screamadelica.

Der enorme Zuspruch zu House und Techno rief Trittbrettfahrer und Verwerter auf den Plan. Bald prangten auf den Flyern die Logos von Sponsoren, DJs und Produzenten wurden die neuen Popstars, die Kultur verkam zur Mode.

... besser leiser drehen

Heute sind die Ausläufer dieser Musik banale Accessoires des Alltags: von der Kaufhausmusik bis zur Hüttengaudi. Denn im Grunde genommen basieren selbst DJ Bobo oder DJ Ötzi auf der Raveolution, auch wenn in diesen Fällen gilt: turn down the volume.

Adidas hat aus Anlass des 30-Jahr-Jubiläums von Acid House eben einen Turnschuh präsentiert. Er ist zitiert die Ära in Smileygelb, Schwarz und Weiß und kostet 100 Euro. Dennoch gibt es bis heute Clubs, die die Musik hochhalten, für Revivals sorgen und ihr Erbe pflegen – das gute Erbe.

Auf der anderen Seite des entstandenen Spektrums befüttern Acts wie David Guetta die Handys der Weltjugend. Der französische Superstar der Electric Dance Music hat einst ebenfalls mit House angefangen. Wie sang eine große Band aus Manchester einmal so treffend? "The dream is gone / but the baby is real." (Karl Fluch, 20.9.2018)