Es ist alles da: die in Licht getränkte Kathedrale von Rouen. Der Nebel, der über die Themse wabert. Die glimmenden Pariser Boulevards. Die blühenden Gärten und die spiegelnden Seerosen natürlich auch. Freilich die japanische Brücke und die große Gartenallee aus Giverny, von der den Wienern besonders jene mit den violetten Iris gesäumte aus der Sammlung des Belvedere so vertraut ist. Und so fehlt freilich auch das berühmte Motiv des lichtgeküssten Getreideschobers nicht.

Ein Paradies für Lichteffekte war für Claude Monet Wasser in allen Aggregatzuständen – Schnee, Eis, Meer, Flüsse, Teiche und Seen, als je nach Strömung und Kräuselung mal mehr, mal weniger spiegelnde Oberfläche. ("Seerosen" von 1908 aus der Sammlung Callimanopulos)
Foto: Ugo Bozzi, Editore Srl, Rom

Für ihre große Claude-Monet-Präsentation hat die Albertina an alles gedacht: 100 Gemälde aus 40 internationalen Häusern und Sammlungen – seit der Ausstellung 1996 als die Besucher vor dem Belvedere Schlangen standen, wurde die Kunst des Meisterimpressionisten nicht mehr so umfassend präsentiert. Bis zum 6. Jänner werden sich prognostizierte 450.000 Besucher durch die Säle des Museums geschoben haben (also rund 4000 bis 5000 täglich!). Dann sollte keiner einen Anlass zur Klage gefunden haben, weil der "Lieblingsmonet" fehlt. Ob er dieses Motiv mit Blick über die Schulter des Nächsten auch genießen (oder sich gar per Selfie für den #MyMonetMoment auf Instagram davor verewigen) kann, ist eine andere Frage.

In der Pariser Orangerie am Rand des Tuileriengartens etwa ist Monets monumentale, aus bis zu 17 Meter langen Leinwänden zusammengefügte Seerosenserie in zwei ovalen Sälen installiert. Dort steht man inmitten dieser Abstraktion von sonnengeküssten Blüten, Blättern und Wasser und ihren Reflexionen. Es wären Bilder, um darin meditativ zu versinken. Allein der plappernde Besucherstrom reißt hier nie ab.

"Das Atelierboot" (1874) aus der Sammlung Kröller-Müller-Museum in Otterlo
Foto: Sammlung Kröller-Müller-Museum, Otterlo

Die Welt im Fluss heißt die Wiener Schau (Kurator: Hein Widauer) im Hinblick auf das sich stetig Verändernde, das Flüchtige, das vom Lauf der Sonne, der Jahreszeiten und der Kraft der Natur Beeinflusste. Monet vermochte es, diese Wahrheit eines ephemeren Augenblicks, diese Essenz einer Seherfahrung in Malerei zu übersetzen. Dass die Kathedrale von Reims (von der nun eine orange-goldene und eine graublaue aus Boston zu sehen sind) "nie so farbig war", wie Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder sagt, mag wissenschaftlich faktisch stimmen. Authentisch sind die sich vom Gegenstand lösenden Farben trotzdem in höchstem Maße. Simulieren sie doch im Betrachter Erinnerungen. Da ist es ziemlich egal, ob sich der Eindruck vom hellblau-türkis-farbenen Wasser des Seerosenteichs beim Herantreten an die Gemälde oft sogar in ein irreales Lavendelblau auflöst.

"Junge Mädchen im Boot" (1887) aus dem National Museum of Western Art in Tokio
Foto: National Museum of Western Art in Tokio

Die Intensität von Monets Farbgewalt am Original zu erleben gehört zu den exklusivsten Seherfahrungen, die man machen kann. Das würden Kalenderblattauskenner womöglich bestreiten. Als "Farbe, die auf Stein wächst", beschrieb etwa Malewitsch, quasi Hohepriester der russischen Abstraktion, sein Monet'sches Erweckungserlebnis.

Langer, ruhiger Fluss

Versucht ist man aber schon, den Titel der Schau insgeheim auf "Die Welt ist ein langer, ruhiger Fluss" abzuändern. Denn private wie staatliche Krisen lassen sich in den Bildern des Meisters nicht ablesen. Weder gibt es Indizien für den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, bei dem Elsass und Lothringen verloren wurden, den Tod seiner ersten Frau Camille oder seine Geldnöte noch für den Ersten Weltkrieg und den Tod seiner zweiten Frau Alice und seines Sohnes Jean. Die bruchlose Reihe seiner Lichtlandschaften wirkt so, als hätte das alles gar nicht stattgefunden. Dabei war Monet sogar ein von schrecklichen Missstimmungen Gequälter.

"Blick auf die Felsnadel durch die Porte d'Aval", 1886 aus der National Gallery of Canada in Ottawa
Foto: National Gallery of Canada, Ottawa

Eine Flucht in die Idylle? Schon den Gartenkult des späten 19. Jahrhunderts, dem auch Monet vollkommen erlag, konnte man nicht nur als Antwort auf Industrialisierung und rasant wachsende Städte, sondern auch politisch lesen. (Der Standard berichtete: "Wider das Fieber der Stadt") Die Revue Horticole, führendes Gartenmagazin jener Zeit, schrieb 1878 vom Gärtnern als einer "Kunst, den Boden zu bewahren und zu verändern: das Bild der Zivilisation, die die Barbarei vor sich hertreibt".

Der Garten diente als romantisches Gegenbild, als Vorstellung von einem modernen Garten Eden und Symbol für ein sich nach dem Albtraum des Kriegs erneuerndes Land. In diesem Arkadien sollten dann auch die Seelen der Menschen gesunden.

"Camille Monet mit Kind im Garten" (1875) aus dem Museum of Fine Arts in Boston
Foto: Museum of Fine Arts, Boston

Monets wichtigster grüner Idylle, dem Garten von Giverny, ist auch der umfangreichste und immerhin 30 Jahre seines Werks abbildende Teil der chronologisch erzählten Ausstellung gewidmet. Der Löwenanteil der Leihgaben stammt aus dem Pariser Musée Marmottan Monet (Teil der Académie des Beaux Arts), das mit Monets Nachlass auch die größte Sammlung des Spätwerks beherbergt.

Für diesen paradiesischen Garten in Giverny gab Monet das Wandern und Reisen irgendwann völlig auf. Denn hier konnte er sich der Flüchtigkeit der Stimmungen mit der Staffelei leicht an die Fersen heften. (Anne Katrin Feßler, 19.9.2018)