Christian Kern trifft zum SPE Treffen in Salzburg ein.

Foto: Matthias Cremer

Die Bombenüberraschung für die Parteifreunde quer durch die Europäische Union ist Christian Kern in der Tat gelungen. Aber sie kam nicht sehr gut an, weil ein beträchtliches Maß an Bosheit bei den Genossen in Wien im Spiel war. Seit Wochen hatten einflussreiche Sozialdemokraten auf der europäischen Ebene diskret die Köpfe zusammengesteckt, wie und vor allem mit wem als gemeinsamem EU-Spitzenkandidaten sie im Mai 2019 in die Europawahlen gehen sollten.

Der Name des früheren österreichischen Bundeskanzlers stand dabei ganz oben auf den Wunschlisten. Der Ex-Manager könnte als möglicher Erneuerer und Modernisierer in einer Welt des digitalen Wandels den Euro-Sozialdemokraten neuen Elan einhauchen. Als Regierungschef hatte sich der SPÖ-Chef in der S&D-Fraktion und in der Parteifamilie SPE einen guten Namen gemacht. Bei einer Programmdebatte in Straßburg, zu der Fraktionschef Udo Bullmann im Frühjahr geladen hatte, war er gut angekommen, erzählt ein Abgeordneter dem Standard: "Er wurde bejubelt."

Weit vor der Zeit

Aber noch war die Idee, dass Kern auch offiziell als SPE-Kandidat auftauchen könnte, viel zu unausgegoren. Erst am 8. Dezember wird ein SPE-Kongress in Lissabon entscheiden, mit wem man in die EU-Wahlschlacht ziehen wird. Die Nominierungsfrist beginnt erst Anfang Oktober, sie endet drei Wochen später.

Kern hat am Mittwoch in Salzburg am Rande des EU-Gipfels jedenfalls einmal erklärt, bei der EU-Wahl im Mai 2019 als europaweiter Spitzenkandidat der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten (S&D) antreten zu wollen. Bisher hat nur der aus der Slowakei stammende EU-Kommissar Maros Sefcovic seine Kandidatur erklärt. Aber der hat kein besonders starkes Profil, war nie Regierungschef. In der SPE ist ein offener Nominierungsprozess üblich, "es wird mehrere hochqualifizierte Kandidaten geben", sagt Bullmann voraus.

Es war geplant, dass Kern erst in den nächsten Wochen "Nägel mit Köpfen" macht. Umso überraschender kamen dann Dienstag etwa für die deutschen Sozialdemokraten die Nachrichten aus Wien, wonach Kern als SPÖ-Chef zurücktrete, und später, dass er für die SPÖ in die EU-Wahl gehe. Die Verblüffung im Willy-Brandt-Haus in Berlin war jedenfalls groß, als man erfuhr, dass Kern den Wechsel auf die EU-Bühne angehen wolle: als Spitzenkandidat zur Nachfolge von Kommissionschef Jean-Claude Juncker.

"Darüber müssen wir erst mal reden, dazu braucht es eine gesamteuropäische Abstimmung", heißt es in der SPD. Diese ist gerade selbst dabei, ihre Kandidatenlisten in den Landesverbänden zu erstellen, was noch bis November dauern wird. Brüssel ist weit weg. Als Spitzenkandidat in Deutschland ist der frühere Parteichef Martin Schulz im Gespräch, der 2014 bei den EU-Wahlen als europäischer Spitzenkandidat gegen den Christdemokraten Juncker angetreten war – und verlor.

Aber die turbulenten Ereignisse in Wien, die Tatsache, dass sich sozialdemokratische EU-Regierungs- und Parteichefs vor dem EU-Gipfel in Salzburg trafen, führten dann dazu, dass die Frage "Spitzenkandidat der SPE" breite Öffentlichkeit erfuhr. Kern versicherte seinen Parteifreunden dort, dass er es mit seinem Antreten ernst meine; dass er in den kommenden Wochen durch Europa reisen werde, um seine offizielle Bewerbung im Oktober vorzubereiten. Wie seine Chancen stehen, am Ende auch auf den Schild gehoben zu werden, wollen Parteigranden der SPE derzeit nicht beantworten, das sei viel zu früh.

Fraktionschef Udo Bullmann sagte dem Standard, er freue sich sehr, dass Kern bei den EU-Wahlen antreten werde: "Er ist mit Sicherheit ein Mann, der in der ersten Reihe mitspielen kann. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit ihm." Die Christdemokraten in der EVP brauchten nicht zu glauben, dass das Rennen für sie schon gelaufen sei, meint Bullmann. Europas Sozialdemokraten und auch Kern hätten "erkannt, was auf dem Spiel steht, wir stehen in Europa an einem Scheideweg".

Der Weg an die Spitze der SPE-Wahlliste ist für Kern also noch weit. Er braucht für eine Kandidatur die Unterstützung aus mindestens acht Ländern. Für ihn spricht, dass die Sozialdemokraten in Schlüsselländern wie Frankreich, den Niederlanden oder Italien in einer Existenzkrise stecken. Starke Kandidaten aus diesen Staaten wie Währungskommissar Pierre Moscovici, EU-Vizepräsident Frans Timmermans oder EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, die lange als Favoriten galten, scheinen demoralisiert.

Knackpunkt Kurz

Bleibt der Aspekt, ob Österreichs Kanzler Sebastian Kurz seinen ungeliebten Vorgänger unterstützen würde, sollte der von der SPE für ein EU-Spitzenamt nominiert werden. Diese Frage stelle sich nicht, sagte Kurz der APA, denn Juncker-Nachfolger in der Kommission werde der Spitzenkandidat der stärksten Fraktion nach der Wahl, es werde sich dabei nicht um die Sozialdemokraten handeln (siehe rechts). Er könnte sich täuschen: Denn auch für den ständigen Ratspräsidenten Donald Tusk und Mogherini wird 2019 ein/-e Nachfolger/-in gesucht: Die Wahl erfolgt von den Regierungschefs mit qualifizierter Mehrheit – Kanzler Kurz hätte kein Vetorecht. (Thomas Mayer, Birgit Baumann aus Berlin, 19.9.2018)