Im Faltprospekt des Theaters hat man das ominöse Schimpfwort bei Nennung des Titels weiß unterlegt und somit sorgfältig von "Kampf" und "Hunden" abgehoben. Ein Sternchenkommentar weist auf den "Schandfleck der europäischen kolonialen Vergangenheit" ausdrücklich hin.

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Es müssen besondere Umstände obwalten, wenn sich ein Staatstheater freiwillig ein diskriminierendes Unwort an die Fahnen heftet. Das Wiener Akademietheater zeigt ab kommendem Donnerstag das Kolonialdrama Kampf des Negers und der Hunde. Geschrieben hat es der Dramatiker Bernard-Marie Koltès (1948–1989); ein homosexueller Außenseiter des Kulturbetriebes, von Regiegöttern wie Patrice Chéreau noch zu Lebzeiten tatkräftig gefördert.

30 Jahre später sind die Erinnerungen an Koltès' Wortoratorien eigentümlich verblasst. Im Kampf-Stück wird der Zuschauer auf eine umzäunte Baustelle geführt, in ein Camp irgendwo in Westafrika. Koltès-Figuren strapazieren noch dann, wenn sie ein vergleichsweise einfaches Anliegen vorbringen, den Spreizton der französischen Hochklassik.

Dem Begehren des Schwarzen Alboury – so der Name der Figur – wird im Kampf leider nicht stattgegeben. Er, ein verspäteter Nachfahre der antiken Antigone, verlangt die Auslieferung eines Leichnams. Sein Bruder ist als Baustellenarbeiter im Gefolge eines Unwetters tatsächlich "vor die Hunde gegangen".

Der alte, impotente Baustellenleiter und sein versoffener Ingenieur zieren sich gewaltig. Die Leiche – eigentlich ein Phantasma des geschändeten Kontinents Afrika – steckt irgendwo unrettbar in der Latrine fest. Vor allem aber sind Horn und Cal trotz ihres Katzenjammers Usurpatoren: Weiße, die Afrika ausbeuten, indem sie seinen "Körper" zerstückeln und seine Lebendigkeit in tote Materie verwandeln.

Entrechtung von Menschen

Das N-Wort im Titel dieser ominösen Elegie auf das Fortwirken des Kolonialismus in unseren Hirnen wurde von Koltès präzise und unmissverständlich gesetzt. Sein Stück handelt nicht von "Negern", indem es das Vorhandensein solcher Geschöpfe – Produkte aus dem Zerrspiegel jahrhundertelanger Unterdrückung – voraussetzt. Koltès sagt "Neger". Aber er drückt damit nicht im Geringsten seine Zustimmung zu den beschämenden Umständen aus, unter denen man aus Menschen of colour "Neger" macht.

Ausgedrückt wird von Koltès der Mechanismus, der "Neger" immer neu herstellt. Als Produkt des transatlantischen Sklavenhandels etwa ab dem 15. Jahrhundert bildet das hässliche Wort einen giftigen Niederschlag, ein Sediment: Menschen werden als "N." bezeichnet, um sie umso wirkungsvoller entrechten, in Körper und Rassensubjekte verwandeln zu können.

Irgendwo auf der Schnittfläche von Rechtsdiskursen und Praktiken der Gewalt siedelt auch Koltès' "Neger". Die Figur des Alboury, die geheimnisvoll und herausfordernd aus dem Dickicht der Nacht hervorbricht, wird vom Autor in der Synopsis des Stückes ausdrücklich als "Schwarzer" bezeichnet. Die Verächtlichkeit des N-Wortes ist somit polemischer Natur und wird durch die Setzung im Titel vom Fließtext abgesetzt. Die "Hunde" aber sind die whiskeysaufenden Weißen, die den Afrikanern das Menschsein absprechen müssen, um ihren nagenden Selbsthass zu lindern.

Brandschreiben gegen Burg

Die aufklärerischen Absichten des Wiener Burgtheaters scheinen nicht leicht vermittelbar. "Burgtheater macht Rassismus salonfähig", so lautet der Titel eines Brandschreibens, das eine sich "malaika & friends" nennende Gruppe aufgesetzt hat. Die Burg werbe "mit aggressiven Rassismen" für ihr Stück, lautet der Vorwurf. Auch würden schwarze Menschen "in einem Atemzug mit Hunden" genannt.

Der Kern der aggressiv vorgebrachten Anschuldigungen: Kein Mensch, der den Stücktitel im Vorübergehen lese, könne auf die fortschrittlichen Intentionen des Autors irgendwelche Rückschlüsse ziehen. Von "Schande" ist die Rede, von einem billigen Marketing-Gag.

In der Gedankenschmiede der Wiener Burg fällt man recht unsanft aus allen Wolken. Dramaturgin Eva-Maria Voigtländer bekräftigt, kein Bisschen am Text des Autors verändern zu wollen. Im Faltprospekt des Theaters hat man das ominöse Schimpfwort bei Nennung des Titels weiß unterlegt und somit sorgfältig von "Kampf" und "Hunden" abgehoben. Ein Sternchenkommentar weist auf den "Schandfleck der europäischen kolonialen Vergangenheit" ausdrücklich hin.

Der Rassismusvorwurf zeigt eine Gereiztheit an, deren wutzitternde Ausläufer längst den deutschsprachigen Theaterbetrieb erreicht haben. Immer öfter stürzt die "theatrale Repräsentation" des "vermeintlich Anderen" die Vertreter des landläufig Guten, Wahren und Schönen in Verlegenheit.

Das fremde Schwarze

Gerade Menschen mit migrantischem Hintergrund beklagen die Selbstgefälligkeit eines Theatersystems, das Personen of colour ausschließlich dann heranzieht, wenn es Flüchtlinge und Versprengte darstellen will.

Gemeint sind damit Opfer ohne verfügende Gewalt. Oder, wie die Dramaturgin Joy Kristin Kalu unlängst formulierte: Menschen of colour "repräsentieren zuallererst das schwarze Andere, sie sind auf der Bühne aber nicht vorstellbar als Heldin, Bösewicht, Liebhaber, Nachbar, Kind oder Mutter". Immer würden sie als Zeichen für eine Abweichung gelesen und besetzt. Niemals gilt ihr Wirken und Wähnen als normativ und zeichensetzend.

Es fällt schwer zu glauben, ein Weltdramatiker wie Koltès hätte vor 30, 40 Jahren von diesen Zusammenhängen – zumal als minoritär Sprechender – nicht wenigstens einen kursorischen Begriff gehabt. Vor dieser Einsicht verblassen auch die allzu alarmistischen Einwände.

Für Wortwörtlichkeit

An der Wiener Burg will man das Projekt Koltès jetzt durchziehen (Regie: Miloš Lolić). Die Kommentare lauten sinngemäß: Wir sind dem Autor zur Wortwörtlichkeit verpflichtet. Es gehe gerade darum, anhand von Kampf des Negers und der Hunde die weiße Vorherrschaft in der Form kolonialer Gewaltausübung zu dekonstruieren.

Einen leibhaftigen Hund bekommt man auf der Bühne übrigens nicht zu sehen. Nur ganz am Schluss "die weiße Leiche eines Köters, der die Zähne bleckt". Ein solcher Hund bellt nicht mehr, und er beißt auch niemanden. (Ronald Pohl, 21.9.2018)