"Wir sind dabei, die Brennstoffzelle zu pushen, weil alle Lösungen, die heute am Markt sind, viel zu wenig Leistung haben, um damit wirklich überlegen zu fahren", sagt Audis Chefentwickler Ulrich Widmann.

Foto: Andreas Stockinger

STANDARD: Tesla hat bei der Elektromobilität die ganze Branche vor sich hergetrieben. Übeliefert ist ein Wutausbruch des einstigen VW-Konzernchefs in Richtung Audi, ein Auto wie das Model S hätte er sich eigentlich von dort erwartet.

Widmann: Wir brauchen nicht drumrumreden. Der Tesla hat sicher den Markt angefeuert. Aber wir hatten es schon lange auf der Roadmap. Wir waren vielleicht nicht so entschlossen wie Tesla, weil wir vielleicht auch erst einmal warten wollten, bis andere Voraussetzungen erfüllt sind. Eine Voraussetzung ist die Infrastruktur. Und wir mussten, als wir begonnen haben, massiv auch da Programme auflegen, um diese weiterzuentwickeln. Denn unserer Meinung nach ist eine mangelnde Infrastruktur der Hauptkaufverhinderer. Es hat vielleicht ein bisserl länger gedauert, aber wir wollten keinen proprietären Standard machen wie Tesla. Also haben wir, vielleicht mal wieder typisch deutsch, erst einmal viel in die Standards investiert, bevor wir es ausgerollt haben. Musk hat es sehr proprietär gemacht, das hat ihm einen Vorsprung gegeben, wird aber meines Erachtens longterm ein Nachteil werden, weil er jetzt eben mit seinen Ladeschnittstellen sich ändern muss, um dann an diese ganzen Netze anzukoppeln. Das heißt, dieser Geschwindigkeitsvorteil, den ihm prestigemäßig niemand mehr nehmen kann, war noch lange kein wirtschaftlicher Erfolg.

STANDARD: "Vorsprung durch Technik" war auf dem Gebiet zuletzt aber schwer argumentierbar.

Widmann: Ja, da kann man sehr kritisch sein. Ja, da kann man sehr kritisch sein. Vorsprung durch Technik ist aber nicht immer nur eine Frage der Technik, sondern eine gesamtunternehmerische Fragestellung: Wann ist der richtige Zeitpunkt… Ja, wir haben’s jetzt gemacht, wir sind froh, dass wir fertig sind und ich glaube, dass es ein überlegenes Package ist. Sicher, den Tesla überholen werden wir vom Zeitpunkt her nicht mehr können, aber mal sehen, was in einem oder zwei Jahren alles passiert. Ich denke, wir haben eine super Lösung hingestellt, die die Kunden begeistern wird, und es ist eben 100 Prozent ein Audi – es gibt ein Händlernetz dazu, wir sind in den Märkten vorbereitet, um das auszurollen. Musk muss das alles gerade hochziehen, mal sehen, wie erfolgreich er da weitermacht.

STANDARD: Direkter Gegner Mercedes EQC – eine Einschätzung?

Widmann: Wenn ich Audianer bin, kann ich mich entspannt zurücklehnen. Ich kommentiere jetzt nicht, was der Mercedes kann oder nicht. Ich glaube, dass die eben auch vor der Wahl standen, wie kommt man zu einem elektrischen Auto. Wir haben eine andere Philosophie gewählt. Wir haben vermutlich etwas mehr modifiziert in unserer Bestandsplattform, um die Eigenschaften des elektrischen Autos noch mehr herauszumassieren. Ich glaube, dass – bezogen auf die Kundenerwartungen – wir den größeren Schritt machen.

STANDARD: Leistung, Batteriepackage, da sind beide Autos aber relativ vergleichbar.

Widmann: Ja, aber wir haben eine Wärmepumpe mitgegeben, eine Luftfederung, wir können unser Auto auf der Autobahn sauber absenken, das bringt Verbrauchsvorteile. Wir haben dem Auto einen guten cw-Wert mitgegeben, ein paar kWh mehr.

STANDARD: Der e-tron ist aber auch schwerer.

Widmann: Batteriebereinigt sind wir im Gesamtpackage leichter. Mercedes hat 80 kWh publiziert, wir 95, das sind viele Kilos. Und der Jaguar I-Pace ist kleiner. Klar, dadurch ist er leichter. Er hat viel in Aluminium investiert, das muss man ihm anrechnen. Es ist nicht immer alles, was technisch möglich ist, auch wirtschaftlich.

STANDARD: Sie definieren im Zusammenhang mit der Elektromobilität gerade Kernkompetenzen neu. Elektromotoren sind so ein Beispiel. Was zählt noch dazu?

Widmann: Wir haben bei den E-Motoren und bei den Batterien für uns ganz klar entschieden, dass das eigenschaftsprägende Technologien sind. Wir sagen grundsätzlich: Wir machen das selber, was uns vor Kunde differenziert. Das, was Commodity wird, um es im Beschaffungsjargon zu sagen, das kann man kaufen. Aber gerade der Antriebsstrang ist schon ein Thema. Man hätte genau so sagen können: Elektromotoren kann man doch überall kaufen. Wir sehen aber, dass die eher Mainstream abdecken, nicht das, was man im Premium-Bereich braucht.

STANDARD: Wie wichtig ist der Standort Raab (Györ) in dem Zusammenhang? Dort werden die Audi-Elektromotoren ja gefertigt.

Widmann: Györ ist für uns ein wichtiger Standort für die klassischen Motoren, ein Fahrzeug- und Komponentenwerk zugleich. Bei den Elektromotoren haben wir natürlich zwei Dinge im Hinterkopf gehabt. Erst mal wollten wir die Fertigungskompetenz in der Motorentechnik nutzen. Aber wir wollen natürlich auch für die Zukunft der Mitarbeiter eine langfristige Perspektive haben. Wenn sich Volumenverschiebungen ergeben, wäre das für die Belegschaft auch eine Transformationsaufgabe. Und so haben wir dort jetzt zwei Kompetenzfelder, wo wir die Mitarbeiter langfristig beschäftigen können. Für uns zählt immer Eigenschaftsprägung, aber natürlich ist auch Beschäftigungssicherung eine Verpflichtung.

STANDARD: Und Brüssel, wo der e-tron entsteht?

Widmann: Brüssel ist ein Fertigungsstandort. Was wir dort gemacht haben: Die Batteriefertigung sehr nahe am Werk. Die Batterie hat für uns, wie gesagt, ebenfalls eigenschaftsprägende Perspektiven, insbesondere, wenn man an Sicherheit und solche Themen denkt. Deswegen haben wir sie, also das Gehäuse, selber entwickelt, die Module – nicht die Zellen, die kaufen wir.

STANDARD: Wo werden denn 2019 die meisten e-trons verkauft?

Widmann: In den USA. Unser Marktstart ist jetzt in Europa, Mitte ’19 folgen die USA. West und Ostküste vor allem, das ist nichts für den mittleren Westen, das ist uns auch klar. Und klar ist die ganze Bay Area im Prinzip besser vorbereitet, wenn man hier in San Francisco durchs Straßenbild läuft, sieht man schon viele Elektrofahrzeuge. Das heißt, die amerikanischen Kunden sind in der Volumenstrategie ganz vorne. Dann werden wir natürlich die chinesischen Kunden sehen. Die werden wir nicht alle aus Brüssel bedienen. Wir sind gerade dabei, mit unserem Joint-Venture-Partner FAW-VW die Verträge klarzumachen, um dann lokalisiert für China produzieren zu können. Vertragsverhandlungen mit Chinesen sind nicht immer dann fertig, wenn man es haben will.

STANDARD: 2019 werden in USA mehr e-trons verkauft als anderswo, obwohl er dort erst Mitte des Jahres in den Handel kommt?

Widmann: Ja, aber das ist der mit Abstand größte Markt. Die Produktion läuft jetzt hoch, und wir sind dann, wenn wir in USA einführen, schon auf der vollen Linie.

STANDARD: Das wären die kommunizierten 200 Autos täglich, also rund 70.000 jährlich?

Widmann: Das ist unsere aktuelle Planung. Wir können schon noch ein bissl skalieren. Wenn wir mehr Nachfrage kriegen, werden wir uns anstrengen, ein paar mehr rauszukriegen. Die 200 täglich sind eine Orientierungsgröße, es könnten auch mehr werden. Wir haben überall ein bissl Puffer eingebaut. Die Amerikaner wollen dieses Auto massiv. Auch in Europa läuft das Auto schon gut an, ohne dass die Kunden es in der Hand gehabt hätten. Mit festen Vorbestellungen, und wir haben noch gar nicht alle Länder freigegeben. Also, das Interesse ist wirklich groß.

STANDARD: Und die Preissensibilität? 80.000 Euro sind schon eine Ansage.

Widmann: Im Vergleich zum Tesla ist der e-tron ein günstiges Angebot. Wir haben auch vieles serienmäßig drin, von der Luftfeder über das Virtual Cockpit. Ich glaube, für so einen großen SUV ist der Preis gerechtfertigt.

STANDARD: Rechnet sich der e-tron eigentlich oder geht Audi erst mal in Vorleistung, um Flagge zu zeigen? Er ist ja ein Single Shot, der noch nicht auf dem Elektrifizierungsbaukasten steht.

Widmann: Wir haben natürlich das Ziel, mit den Autos Geld zu verdienen. Und ja, es ist ein Single Shot – wobei wir aber zwei Autos drauf haben, es kommt noch ein zweites dazu. Da reden wir sicher nicht von Millionenstückzahlen, aber es ist nicht so, dass wir nicht vorhaben, mit dem Auto von Anfang an Geld zu verdienen.

STANDARD: Auf der neuen Elektrofizierungs-Architektur: Wann kommen die ersten Fahrzeuge?

Widmann: Wir haben im Prinzip die Architektur PPE (Premium Plattform Elektro), die mit Porsche gerade erarbeitet wird, für Ende 2021, Anfang 2022 terminiert und sind gerade mitten dabei, die ganzen Definitionen abzuschließen. Auf dieser Plattform sollen dann Flachbodenautos kommen – klassische Limousinen, wirkliche, richtige Limousinen, nicht so halbseidene –, aber auch hohe Autos, SUVs. Diese Architektur ist dann leichter skalierbar auch über die Segmente. Beim e-tron ist es eine reine Hochbodenarchitektur und in der ganzen Kette eher auf das C-Segment abgeleitet. Das heißt, kleinere Autos im A-Segment wären mit der Technologie nicht darstellbar. Da haben wir aber eben im Konzern zwei Lösungsanker. Das eine ist PPE für Autos B bis D, auch große SUVs kann man darauf darstellen. Und wir haben den MEB (Modularer Elektrifizierungsbaukasten), den die Marke Volkswagen gerade entwickelt und Ende nächsten Jahres zum Einsatz bringt, auf dem wir auch Lösungen realisieren können – im A-, A+-Segment. Und mit dem e-tron GT kommt (Anm.: vermutlich 2020) auch ein sportliches Auto.

STANDARD: PPE: Ende ’21/Anfang ’22 ist die Plattform fertig oder schon Produktionsstart für ein Fahrzeug?

Widmann: Wir wollen natürlich die Plattform immer ein wenig vorlaufend haben und dann werden wir die Autos darauf ausrollen. Da soll ja nicht ein Auto kommen, sondern gleich mehrere Derivate. Aber Sie können schon damit rechnen, dass ’22 die Autos auf PPE starten.

STANDARD: Auf PPE startet dann 2022 auch die angekündigte Kleinserie mit Wasserstoff-Brennstoffzelle?

Widmann: Brennstoffzelle könnte wir auf mehreren Plattformen realisieren, zum Beispiel auch auf dieser (e-tron) hier. Da gibt's mehrere Lösungen. Wir sind im Moment dabei, die Brennstoffzelle als Technologie erst mal zu pushen, weil wir glauben, dass alle Lösungen, die heute am Markt sind, viel zu wenig Leistung haben, um damit wirklich überlegen zu fahren. Die heutigen Modellen fahren kontinuierlich sehr gut. Aber die Leistungsansprüche, wie sie ein sportliches Konzept erfordern, da haben wir noch wenige gesehen.

STANDARD: Der Hyundai Nexo ist aber schon eine recht plausible Ansage.

Widmann: Ja, kombiniert eben mit Batterie und Elektromotor. Das ist auch ein Konzept, das wir verfolgen. Aber die ersten Brenstoffzellen-Autos waren uns zu smooth. Jedenfalls, da arbeiten wir dran. Wir sehen im Moment nicht das Auto als das große Problem, sondern auch da wieder die Infrastruktur. Es gibt einfach in vielen Regionen zu wenige Tankstellen mit Wasserstoff, um das in einem größeren Volumen unterzubringen. Das werden vielleicht eher Flottennutzer sein, die dann halt eine lokale Infrastruktur haben. Wasserstoff zu transportieren ist sehr aufwendig, das wird das Bottleneck werden.

STANDARD: Allerdings hätten Sie mit dem Projekt Werlte in Norddeutschland einen vernünftigen Vorschlag zur Methanisierung von Wasserstoff, womit sich Erdgasautos betreiben lassen.

Widmann: Das ist ja unsere E-Fuel-Strategie, die wir auch verfolgen. Das heißt, wir haben im Moment mehrere Lösungsrezepte. (Andreas Stockinger, 23.9.2019)