Alexander Lauber komponiert verschiedene Aromen zu den unkonventionellen Düften von Wiener Blut.

Foto: Rehbinder, Rotfilter

Wie duftet der kristallklare Nachthimmel über dem Großglockner? Das Ankleidezimmer einer kaiserlichen Hofdame? Oder der verregnete Asphalt vor der Wiener Kultdisco U4 in den 1990er-Jahren? All das sind Fragen, über die österreichische Parfümeure stundenlang fachsimpeln könnten.

Alexander Lauber von Wiener Blut zum Beispiel oder Alexander Urban von Urban Scents. Beide Herren stammen aus Wien und sind inzwischen mit ihrer jeweiligen Marke feste Größen auf dem Parkett einer internationalen Branchenelite.

Parfums aus den kleinen, aber feinen Werkstätten experimentierfreudiger Kreativer gelten unter Trendsettern als der neueste Spezialisten-Hype – frei nach dem Motto: Mein Brot wurde im Steinzeitofen gebacken, für meinen Kaffee hat ein Barista mit jeder Bohne einzeln gesprochen, und riechen tue ich wie sonst keiner auf der ganzen Party.

Individuelle Duftmarke

Während die Neuerscheinungen internationaler Branchenriesen eine möglichst große Bandbreite an Geschmäcken abdecken müssen, können kleinere Labels abwegigere Vorlieben bedienen. Vor wenigen Jahren etwa war der streng-herbe Geruch von Oud ein "Special Interest"-Thema.

Nischenanbieter wie Kilian oder Frédéric Malle experimentierten mit dem Räucherholz des arabischen Adlerholzbaumes und hatten damit Erfolg. Seitdem setzen auch Zegna, Armani, Tom Ford und Hugo Boss auf diese Duftnote.

Dass Nischen-Couture oft wesentlich teurer ist als Stangenware und trotzdem so gefragt ist, liegt aber nicht nur an ihrer Vorreiterrolle: Viele kleine Manufakturen arbeiten noch immer vorrangig mit natürlichen Duftstoffen – etwas, das bei den Mengen und dem Preis-Leistungs-Verhältnis, dem große Kosmetikkonzerne nachkommen müssen, undenkbar wäre.

Als Parfümeur, der mit vielen natürlichen Rohstoffen arbeitet, beobachtet Alexander Urban den Hype um sein Segment mit gemischten Gefühlen: "Es wächst so schnell; man muss vorsichtig sein. Der Kampf um die Nische ist in vollem Gange. Auch große Konzerne wollen jetzt mitmischen."

Einer Verwässerung der Qualität durch findige Marketingstrategien entgegenzuarbeiten – das ist auch das erklärte Ziel von Eva Seiser, Inhaberin der Boutique Stattgarten in der Wiener Kettenbrückengasse. Inzwischen, sagt sie, haben sich ihre Umsätze in diesem Segment verdoppelt: "Aus persönlichem Interesse setze ich seit sechs Jahren auf Nischendüfte. Das Wissen und Können, das hinter wirklich gut gemachten Düften steht, fasziniert mich immer mehr."

Wie Seiser warnt aber auch Alexander Lauber vor investorengesteuerten Produkten: "Ein gutes Parfum muss Substanz haben, eine Geschichte und vor allem ein Anliegen. Anfangs war der Markt überschaubar, aber in den letzten Jahren ist das Thema richtig explodiert", erzählt Lauber.

Mit seinem Label Wiener Blut zählt er zu den jungen Wilden unter den Parfümeuren – unter anderem auch, weil seine Kreationen auf so abwegige Namen wie "Freudian Wood", "Volkamaria" oder "Unheimlich" hören.

Was drin ist in seinen schweren, geschliffenen Glasflakons, beeindruckt eine wachsende Anhängerschaft von New York über Tokio bis Dubai: Bei "Unheimlich", Laubers jüngstem Spross, treiben Bibergeil, Birkenteer, Myrrhe und Wildleder so ausgefallene Blüten vor sich her, dass sich der eine oder andere Benutzer nach wenigen Sprühstößen fühlt, als hätte er eine Stunde auf der Couch von Sigmund Freud gebucht. Tatsächlich ist der Vater der Psychoanalyse für Lauber eine unermüdliche Inspirationsquelle.

Für seine bisher acht verschiedenen Kompositionen hat er nicht nur alte Parfumrezepte aus der Belle Époque studiert, sondern auch Werke wie "Die Traumdeutung" oder "Totem und Tabu". "Freud'sche Themen zu verarbeiten ist interessant, weil ich versuchen kann, abstrakte Themen über den Duft auf der Gefühlsebene erlebbar zu machen."

Berliner Luft

Mit mindestens ebenso hohem Anspruch arbeiten die Gründer des Labels Urban Scents: Bevor sie sich mit ihrem eigenen Unternehmen selbstständig machten, waren Alexander Urban und seine französische Frau Marie Le Febvre als Parfümeure für große Konzerne tätig (als Berater betreute Urban unter anderem Marken wie Calvin Klein, Estée Lauder und Versace). Heute betreibt das Duo ein Geschäft mit eigenem Labor im Herzen von Berlin und verschickt seine Kreationen in alle Welt.

Ihre Düfte präsentieren Urban und Le Febvre in zurückhaltenden, dunkelblau geschliffenen Glasflakons. Erst der Inhalt entfaltet auf der Haut seine volle Verführungskraft: Das weiche "Bliss me" spielt mit dem Woodstock-Mythos und den Idealen der Flower-Power-Generation, "In Between" versteht sich als würzige Hommage an die androgynen Düfte der 1990er-Jahre.

Weil sie neben ihren eigenen Kollektionen auch sogenannte personalisierte Düfte komponieren, wurden mittlerweile auch Museen auf das Label aufmerksam. Für die derzeit im Nürnburger Nationalmuseum laufende Ausstellung "Luxus in Seide" kreierte Le Febvre einen Raumduft, der an die Damenkleidung zur Zeit des Rokoko erinnert, außerdem arbeiten die beiden gerade an einem Duft für eine Teppichausstellung im Berliner Pergamonmuseum. (Ela Angerer, RONDO exklusiv, 30.10.2018)