Es ist früher Abend, Jean-Baptiste Mondino, ganz in Schwarz gekleidet, mit dunkler Sonnenbrille und schwarzen Turnschuhen, setzt sich in einer kleinen Nische im üppigen Garten des Sunset-Marquis-Hotels in Hollywood an den für ihn reservierten Tisch. Am Vortag ist er von Paris aus, wo er mit seiner Familie lebt, eingeflogen, um mit Jennifer Lawrence einen Parfümwerbespot für Dior zu drehen. Den ganzen Tag hat er in Meetings verbracht, Mondino stöhnt über die "Marketing-Heinis", bestellt ein Glas Weißwein, zündet sich eine Zigarette an, obwohl Rauchen hier verboten ist. Allmählich entspannt er sich.

Es ist ein warmer Abend, der Weißwein wird mit vielen Eiswürfeln im Glas serviert. Mondino nimmt einen Schluck, verzieht das Gesicht und schüttelt schweigend den Kopf. Ab und zu hebt er während des Gesprächs die Sonnenbrille.

Jean-Baptiste Mondino
Der 69-jährige Fotograf, Grafiker und Videoregisseur hat bekannte Gesichter wie Madonna und Prince vor die Kamera geholt. Er selbst ist ausgesprochen kamerascheu. Dieses ist eines seiner wenigen Selbstporträts.
Foto: Jean-Baptiste Mondino

Mondino, italienischer Abstammung, wuchs in Paris auf und wurde Mitte der 1980er-Jahre mit seinen ikonischen Bildern von Sängern und Schauspielern bekannt. Wie kein anderer wusste er den Zeitgeist, eine Mischung aus Image, Grafik, Werbung, Musik und Mode, aus unterschiedlichen Kulturen und Subkulturen der letzten 30 Jahre, aus Pornografie und Schwulenästhetik in seinen Bildern, Werbespots und Musikvideos einzufangen.

STANDARD: Welche Bilder haben Sie in Ihrer Kindheit am meisten beeinflusst?

Jean-Baptiste Mondino: Ich komme aus einem Pariser Vorort. Meine Welt war die der Musik und ihrer Plattencover. Plattencover waren das Instagram meiner Zeit. Ihre Gestaltung interessierte mich, und sie prägten meine Generation.

STANDARD: Sie selbst waren Musiker, auf Youtube kann man sich sogar ein Musikvideo von Ihrem Lied "La Danse des Mots" von 1984 anschauen. Wieso sind Sie nicht dabei geblieben?

Mondino: Ich wollte immer nur Musiker werden. Gott sein Dank hat das nicht geklappt. Vielleicht wäre ich schon tot. Als junger Mann bin ich wegen Jimi Hendrix 1970 zu dem Isle-of-Wight-Musikfestival getrampt. Er war mein großes Idol. Als ich ihn spielen sah, dachte ich mir: So werde ich nie spielen können. Mit der Zeit verwarf ich den Traum einer Musikerkarriere. Hätte ich die Arbeiten von Man Ray, Richard Avedon oder Erwin Blumenfeld gekannt, wäre ich wohl auch nie Fotograf geworden.

STANDARD: Wie kamen Sie zur Fotografie?

Mondino: Das passierte zufällig. Ich konnte gut zeichnen und arbeitete in den 1970ern in einer Werbeagentur. Damals war ich aber noch immer Teil der Musikszene. Als ein paar meiner Freunde einen Plattenvertrag erhielten, sagte ich: "Lasst mich das Cover machen." Ich überlegte mir ein Konzept, borgte mir eine Kamera und fotografierte. Da ich nie Fotograf werden wollte, hatte ich auch nie großen Respekt vor der Fotografie. Das Konzept war mir immer wichtiger als die Fotografie. Lange Zeit dachte ich, meine Arbeit sei nicht gut genug, daher habe ich mir nie eine Kamera gekauft. Ich besitze bis heute keine. In meiner Arbeit hielt ich die Vision der Jugend meiner Zeit in Bildern fest: Punks, Mädchen mit kahlrasierten Köpfen – es gab eine neue Art, sich zu kleiden, sich zu benehmen, eine neue Musik, eine neue Grafik.

Madonna 1990 im Gaultier-Bustier, inszeniert von Jean-Baptiste Mondino.
Foto: Jean-Baptiste Mondino

STANDARD: Ihre Bilder von Madonna oder Prince sind heute Ikonen der Popkultur. Sie haben einen eigenen Stil, Ihre Arbeit hat einen Wiedererkennungswert. Wie hat sich dieser Stil herausgebildet?

Mondino: Ich glaube nicht, dass ich wirklich einen Stil habe. Ich würde eher sagen, dass meine "Begrenztheit" für meinen Stil verantwortlich ist. Mein Talent besteht darin, die Persönlichkeit eines Menschen, mit dem ich arbeite, zu erkennen. Wahrzunehmen, was jemand oder etwas repräsentiert, habe ich in der Werbung gelernt: Ich bin eine Art Medium. Ich bin einfach nicht Künstler genug, um jemanden in meine Vision hineinzuziehen. Ich brauche immer ein Gegenüber, um etwas zu erschaffen.

STANDARD: 1987 haben Sie Prince nackt für das Cover seines Albums "Lovesexy" fotografiert. Das wurde ein Skandal. Wie war die Zusammenarbeit mit Prince?

Mondino: Ich war ein großer Fan von Prince und überglücklich, als er mir den Auftrag gab. Ich verbrachte eine Woche mit ihm in seinem Studio in Minneapolis, während er Aufnahmen machte. Er redete wenig. Er kommunizierte vielmehr, indem er mir gestattete, da zu sein. Irgendwann meinte er: "Morgen fliegen wir nach L.A., dort schießen wir das Cover. Lass uns im Flugzeug alles besprechen."

Während des Fluges besprachen wir nichts. Nach unserer Ankunft sagten wir: Okay, morgen Besprechung. Aber dann waren wir bis zwei Uhr morgens in einem Nachtclub, und wieder kam es nicht dazu. Am übernächsten Tag beim Frühstück redeten wir endlich ein wenig. Prince wollte damals zuerst sein Black Album veröffentlichen, das er dann aus persönlichen Gründen zurückzog. Plötzlich schoss es mir durch den Kopf, dass dieser Mann Licht braucht, so etwas wie eine Wiedergeburt. Ich zeichnete ihm meine Idee auf, und er war begeistert.

Prince hüllenlos auf dem Cover zu "Lovesexy".
Foto: Jean-Baptiste Mondino

STANDARD: Sie haben damals eine Ikone der Popkultur geschaffen. Funktioniert so etwas heute überhaupt noch?

Mondino: Ikonische Bilder von Helmut Newton, Irving Penn und Richard Avedon gab es ja schon lange. Ich habe selbst einige geschaffen und habe meinen Teil dazu beigetragen, die Sehnsucht nach ikonischen Bildern zu schüren – übers Fernsehen, über MTV und die Magazine. Durch Instagram hat eine Demokratisierung der Berühmtheit stattgefunden. Jeder kann heute singen, einen Film drehen oder Fans haben. Jedes einzelne Image schmilzt dahin wie eine Schneeflocke in der Sonne. Ikonische Bilder sind nicht mehr relevant. Sie werden unsere Probleme nicht lösen. Die Ikonen von morgen werden aus der Wissenschaft kommen.

STANDARD: Haben Sie selbst einen Instagram-Account?

Mondino: Nein! (Als Beweis zieht Mondino ein kleines Nokia-Telefon aus der Hosentasche.) Ich habe meine Bilder 40 Jahre lang gezeigt. Es gibt genug Menschen, die sich für mich interessieren. Ich will in Ruhe gelassen werden. Am liebsten würde ich verschwinden.

STANDARD: Wie bitte?

Mondino: Ich würde manchmal gern verschwinden, mich auflösen. Ich fände das sehr elegant. Wissen Sie, in den letzten Jahren sind viele Menschen, deren Existenz mir viel bedeutet hat und mit denen ich gearbeitet habe, verschwunden: Prince, Azzedine Alaïa, Glenn O'Brian. Sie waren Teil meiner Welt, und plötzlich sind sie weg. Das Leben geht weiter, aber es scheint mir, als ob Menschen nicht mehr trauern und leiden können, weil sie keine Zeit haben. Wenn Sie mich also nach meinen ikonischen Bildern fragen ... Das ist doch alles Bullshit! Meine Arbeit war nur in dem Moment wichtig, in dem sie entstanden ist. Ich bin kein Künstler.

"L'Origine du monde" von Gustave Courbet, 1995 fotografiert von Mondino.
Foto: Jean-Baptiste Mondino

STANDARD: Ist es Ihnen nicht wichtig, dass junge Menschen Ihre Arbeit kennen?

Mondino: Die brauchen mich nicht. Sie haben ihre eigene Welt. Ich habe auch nicht versucht, Avedon oder Newton zu kopieren. Vielleicht werde ich aufgrund gewisser Bilder wie dem Prince-Cover oder Madonna im Gaultier-Outfit relevant bleiben. Vielleicht wird meine Arbeit eine Art Dünger für die nächste Generation sein. Das würde mich freuen.

STANDARD: Was empfinden Sie, wenn Sie Ihre Arbeit betrachten?

Mondino: Sie gefällt mir. Ich weiß, dass sie gut ist. Aber das ist nicht wichtig. Ich bin stolz, wenn ich meine Kinder, meine Frau und unser gemeinsames Leben betrachte. Ich mache diesen Job, um meine Rechnungen zu bezahlen und meine Freiheit zu haben. Ich bin ein einfacher Mensch.

STANDARD: War es die Musik, die Ihre Arbeit am stärksten beeinflusst hat?

Mondino: Ich bin heute fast siebzig Jahre alt. Und ich dachte immer, meine Inspiration komme hauptsächlich von der Musik. Tatsächlich aber war es die Kirche. Das Vorstadtleben meiner Kindheit und Jugend war braun und grau. Die Kirche, in der ich Chorknabe war, hat mich fasziniert. Das war wie eine Jeff-Koons- oder Damien-Hirst-Ausstellung – die Farben, der Weihrauch, die Figuren, die Körper, die nackte Haut, Christus am Kreuz, die Engel, Maria. Es war eine Mischung aus Sinnlichkeit, Sexualität, Gefühl und Transzendenz. Später habe ich Vergleichbares in der Musik und in der Mode gefunden.

STANDARD: Wie sehr hat sich Ihre Arbeit im Lauf der Jahre verändert?

Mondino: Früher hätte ich gesagt: Das da ist nicht gut genug für ein Bild. (Mondino zeigt auf tropische Pflanzen.) Heute kann ich in vielen Dingen so viel mehr Schönheit sehen. Meine Sichtweise hat sich geändert. Alles, wovor ich früher geflüchtet bin, lebe ich heute: Langsamkeit, Stille, Alleinsein. Ich genieße die Kontemplation. Ich spiele nicht mehr mit Sexualität, ich muss nicht mehr provozieren. Been there, done that. Diese Schlacht haben wir gewonnen. Ich wiederhole mich nicht gern. Heute gibt es mehr Poesie und Sanftmut in meinen Bildern. (Cordula Reyer, RONDO exklusiv, 12.11.2018)