Zwei Wolfsrudel gibt es mittlerweile wieder in Österreich. Von Politikern wird ein Bedrohungsszenario umrissen, das Organisationen wie der World Wide Fund for Nature (WWF) scharf kritisieren. Die Sorgen der Bevölkerung müsse man ernst nehmen, Übertreibungen seien nicht hilfreich, heißt es in einer Aussendung. Wir haben den international bekannten Wolf-Experten Kurt Kotrschal um Aufklärung gebeten.

Die Augen eines Wolfes in Ernstbrunn.
Foto: Cremer

Wie unterscheiden sich Hunde vom Wolf?

Kotrschal: Die vergangenen zehn Jahre im Wolfsforschungszentrum in Ernstbrunn haben gezeigt: Der Hund ist nicht einfach die nettere, kooperativere Version von Wölfen, wie früher angenommen wurde. Ihre Fähigkeit zur Zusammenarbeit mit uns Menschen geht auf den Wolf zurück, aber in mehr als 30.000 Jahren Zusammenleben wurde diese an uns angepasst. Hunde habe eine steilere Dominanzhierarchie im Kopf und benötigen die Führung durch den menschlichen Partner viel stärker als die Wölfe. Insgesamt widerspiegeln sich die genetischen Unterschiede zwischen Wölfen und Hunden in einem Mosaik von Verhaltensunterschieden. Hunde mögen nicht mehr so klug wie Wölfe sein, sie eignen sich aber aufgrund ihrer Konzentrationsfähigkeit auf unsere Bedürfnisse und ihrer Nervenstärke besser als Gefährten als ein zahmer Wolf. So haben Hunde ihr Bellen auch speziell für die Kommunikation mit Menschen entwickelt.

Wie verhalten sich Hund und Wolf zueinander?

Kotrschal: Da Wölfe und Hunde einander sehr nahe sind, vermischen sie sich gelegentlich – und das, seit es Hunde gibt. Aber im Wesentlichen ist man nicht sehr freundlich zueinander. Hunde schützen die Nutztiere der Menschen seit tausenden Jahren vor allem vor den Wölfen, das hat die Domestikation von Schafen und anderen Weidetieren ermöglicht. Wölfe reagieren auf das Eindringen von freilaufenden Hunden in ihr Territorium meist recht unfreundlich. Keine Gefahr besteht für Hunde in Wolfsgebieten, wenn der Hund nahe bei seinem Menschen bleibt.

Video: Interview mit Kurt Kotrschal.
Bayerischer Rundfunk

Wie reagiert der Wolf auf Menschen?

Kotrschal: In Ernstbrunn werden wir oft gefragt, wie sich Wölfe gegenüber uns Menschen verhalten. Meist werden wir gemieden. Es kann aber schon vorkommen, dass sich ein neugieriger Jungwolf auf ein paar Meter annähert, ein Gehöft inspiziert oder durch ein Dorf läuft. Da ist der Mensch gefordert: Damit Wölfe scheu bleiben, sollten sie in Menschennähe nichts Fressbares finden oder gar angefüttert werden. Bei unwahrscheinlichen Begegnungen mit neugierigen Wölfen sollte man also eher unfreundlich reagieren, etwa sich groß machen, anschreien, auch Steine oder Stöcke werfen kann helfen. Darauf reagieren Wölfe mit Rückzug. Ganz wichtig ist Herdenschutz, damit Wölfe in Schafen keine leichte Beute sehen. Haben sie das mal gelernt, geben sie es innerhalb ihrer Rudel auch an den Nachwuchs weiter. Ansässige Rudel verteidigen ihr Territorium und damit auch die dort lebenden Weidetiere gegen durchziehende Wölfe, die ja einen Gutteil der Nutztierschäden verursachen.

Wie viele Wölfe leben in Österreich bzw in Europa?

Kotrschal: Derzeit leben etwa 20 Wölfe in zwei Rudeln in Österreich, eines am Truppenübungsplatz in Allentsteig, das seit 2016 jährlich Nachwuchs hat, und ein "neues" im nördlichen Niederösterreich mit erstmaligem Nachwuchs 2018. In Europa leben etwa 20.000 Wölfe, 200.000 weltweit, Tendenz steigend. Wölfe stehen im Rahmen von Abkommen und der EU-Fauna-Flora-Habitatrichtlinie unter strengem Schutz. Sollte sich aber ein Wolf gründlich "danebenbenehmen", etwa durch übermäßiges Töten von Weidetieren trotz Herdenschutzes, ist erst dann ein Abschuss möglich.

Welche Fressfeinde hat der Wolf?

Kotrschal: Wölfe haben kaum Fressfeinde. Aufgrund ihrer sozialen Organisation im Rudel zählen sie wie Menschen immer schon zu den Top-Prädatoren, was wohl eine Ursache für die Konflikte Mensch/Wolf darstellt.

Ansässige Wolfsrudel verhindern, dass sich weitere Wölfe ansiedeln.
Foto: Corn

Wovon hängen Wolfsdichten ab?

Kotrschal: Wolfsdichten hängen im Wesentlichen von den Beutedichten ab. Zudem verhindern ansässige Rudel, dass sich weitere Wölfe ansiedeln, und sie regulieren durch Kämpfe an den Territoriumsgrenzen ihre Dichten effizient selber. Das Abschießen von Wölfen stört dieses System empfindlich und kann sogar zu erhöhten Wolfsdichten führen. Wie auch die Erfahrungen in Deutschland zeigen, breiten sich Wölfe rasch aus, lokale Wolfsdichten steigen aber nicht weiter an. Sie üben einen günstigen Einfluss auf die lokale Fauna aus, rotten das Wild sicherlich nicht aus, können aber zur Kontrolle von Wilddichten, etwa bei Wildschweinen, beitragen.

Verhaltensbiologe Kurt Kotrschal.
Foto: APA

Die wichtigste Erkenntnis der Wolfsforschung?

Kotrschal: Global betrachtet: Die frühe Partnerschaft unserer Jäger-und-Sammler-Vorfahren mit dem Wolf war eine der wichtigsten Innovationen der Menschheit. Wir können heute nachvollziehen, wie die Erstbegegnungen vor 40.000 Jahren gewesen sein mögen und warum man zusammenblieb. Daraus wurden unsere Hunde, die immer schon wichtige Partner der Menschen waren, auf der Jagd, im Krieg. Sie haben sicher dazu beigetragen, dass Menschen als die invasivste aller auf der Erde lebenden Arten derart erfolgreich waren, heute bis zur Gefährdung der eigenen Existenz.

Welche Frage in der Wolfsforschung ist für Sie offen?

Kotrschal: Ich bin sehr gespannt, ob Menschen wieder akzeptieren werden, dass sie kein Monopol auf die Nutzung von Landschaft beanspruchen sollten. Mit Wölfen in unserer Kulturlandschaft zu leben wird die Nagelprobe dafür sein. In einer Welt auf der Kippe wird es entscheidend sein, die menschlichen Ansprüche wieder auf ein verträgliches Maß zurückzuführen; insofern ist der Wolf ein Symbol. (Peter Illetschko, 24.9.2018)