Es war kein gutes Wochenende für Russlands politische Führung: In zwei Regionen mussten die Kreml-Kandidaten in eine Stichwahl. Beide Male gingen sie als Verlierer hervor. Der Verlust weiterer Regionen scheint unausweichlich. Im Fernostgebiet Chabarowsk ist Gouverneur Wjatscheslaw Schport haushoch gescheitert. Er unterlag seinem Herausforderer von der populistischen LDPR Sergej Furgal. Dabei hatte der Amtsinhaber noch mit einem Trick versucht, die politische Stimmung zu kippen. Kurz vor der Stichwahl bot der 64-Jährige seinem 16 Jahre jüngeren Gegner das Amt des Vizegouverneurs an. Nach dessen Sieg ist das Angebot Schports jedoch hinfällig.

"Pappkamerad" gewann Wahl

Noch kurioser fiel der Wahlsieg des LDPR-Kandidaten Wladimir Sitjagin in der Region Wladimir, nur 200 Kilometer östlich von Moskau, aus. Dort hatte die Obrigkeit vor der Abstimmung vorsichtshalber schon den bekannten Journalisten Maxim Schewtschenko, der für die Kommunisten antreten wollte, aus dem Rennen genommen. Nun siegte stattdessen Sitjagin, der eigentlich gar keinen Wahlkampf führte. "Er war dort nur ein Pappkamerad, den sie aufgestellt hatten, um die Illusion einer Opposition zur Gouverneurin zu schaffen", urteilte der Politologe Konstantin Simonow.

Die amtierende Gouverneurin Swetlana Orlowa muss ihren Posten nach der Wahlniederlage räumen.
Foto: Artyom Geodakyan /imago/ITAR-TASS

Dass Sitjagin, der vor der Stichwahl keinen medialen Wahlkampfauftritt mehr wahrnahm – aus Angst zu siegen, wie böse Zungen behaupten –, am Ende trotzdem vor Gouverneurin Swetlana Orlowa lag, zeigt, wie tief die Unzufriedenheit der Russen sitzt. "Lieber für einen glatzköpfigen Teufel als für einen Kandidaten des Einigen Russlands", charakterisierte der Petersburger Jabloko-Abgeordnete Boris Wischnjowski die derzeitige Stimmung. Tatsächlich hat Sitjagin seinen Sieg offensichtlich dem Frust der Russen angesichts der geplanten Pensionsreform zu verdanken– und der Erkenntnis, dass man die Obrigkeit tatsächlich abwählen kann.

Wahlmanipulationen

Denn das Ungemach des Kremls hat bereits vor einer Woche begonnen, als bei der Stichwahl in der strategisch wichtigen Pazifikregion Primorje um den Großhafen Wladiwostok kurz vor dem Ende der Auszählung der kommunistische Herausforderer Andrej Ischtschenko vor dem Amtsinhaber Andrej Tarasenko lag. Der Wahlsieg Tarasenkos glich einem Wunder, das die Wahlkommission allerdings, wenig erfreulich für den Kandidaten der Kreml-Partei, zur Manipulation erklärte. Und auch wenn Tarasenko vorerst keine Konsequenzen, außer einer Wiederholung der Wahl in drei Monaten, fürchten muss, scheint das Ende seiner politischen Karriere trotz seines guten Drahts zu Wladimir Putin nah.

Auch in der sibirischen Teilrepublik Chakassien droht Ungemacht. Dort hat der Kreml-Kandidat nach einem enttäuschenden Ergebnis in der ersten Runde auf seine Teilnahme an der Stichwahl verzichtet. Anfang Oktober dürfte damit ein Kommunist das Amt dort übernehmen.

Niederlagen signalisieren Schwäche

Zwar gilt die LPDR als handzahme Opposition, die leicht zu lenken ist. Und auch Kommunistenchef Gennadi Sjuganow hängt immer noch massiv die Präsidentenwahl von 1996 nach, die er nach Meinung vieler Beobachter nur wegen der nachträglichen Wahlmanipulation zugunsten Boris Jelzins verlor – dennoch signalisieren die Niederlagen Schwäche. Zuletzt verspürte Putin das Gefühl 2011/2012, als sich nach den Manipulationen bei der Duma-Wahl und seiner angekündigten Rückkehr in den Kreml massive Proteste regten. Putin reagierte damals mit Härte – unter anderem wurden die Freiheiten von NGOs beschnitten und das Demonstrationsrecht eingeschränkt.

Alexej Nawalny erneut festgenommen

Auch diesmal gibt es eine Reaktion, die auf den ersten Blick kaum etwas mit den Wahlen zu tun hat: Am Montag nahm die Polizei den Oppositionellen Alexej Nawalny fest. Nawalny, der lange Zeit versuchte, mit der Aufdeckung von Korruptionsfällen innerhalb der politischen Elite zu punkten, hatte zuletzt auch die Pensionsreform als Thema für Proteste entdeckt. Das Pikante an der Festnahme: Die Uniformierten kassierten den 42-Jährigen direkt am Ausgang des Gefängnisses ein, wo Nawalny bereits 30 Tage Haft abgesessen hat wegen Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung bei der Organisation von Kundgebungen. Diese Strafe bekam er für Proteste im Jänner – und sie war offensichtlich dazu gedacht, ihn daran zu hindern, die Proteste im September anzuführen.

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Direkt nach seiner Entlassung aus der Haftanstalt in Moskau wurde Alexej Nawalny wieder festgenommen.
Foto: AP / Dmitry Serebryakov

Doch nun droht ihm eben wegen dieser Proteste eine weitere administrative Haftstrafe. Laut seinem Berater Leonid Wolkow werden ihm Verstöße gegen das Versammlungsrecht mit Verletzungsfolge vorgeworfen. Die Anschuldigungen beziehen sich demnach auf die Proteste gegen die Pensionsreform am 9. September. Zwar hatte Nawalny daran nicht teilgenommen, doch allein der Aufruf zur Teilnahme an den Aktionen dürfte ihm nun als Ordnungswidrigkeit ausgelegt werden. Nach Ansicht Wolkows bereiten die Behörden sogar ein Strafverfahren gegen Nawalny vor. Der Oppositionspolitiker ist wegen eines Urteils in einem vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als "unfair" bezeichneten Betrugsprozess bereits vorbestraft.

Streitpunkt Pensionsreform

Dass die Opposition die Bürger über einen längeren Zeitraum zu Protesten mobilisieren kann, ist derzeit eher unwahrscheinlich. Die Unzufriedenheit allerdings wird vorerst anhalten – zumal das Gesetzespaket zur Anhebung des Pensionsalters erst im Herbst von der Duma tatsächlich verabschiedet werden soll. Die nächsten größeren Wahlen sind 2019 geplant. Mit einer deutlichen Aufbesserung der sozialen Lage ist bis dahin allerdings nicht unbedingt zu rechnen. Trotz hoher Öleinnahmen bremst das Wirtschaftswachstum zusehends ab, auch die Realeinkommen der Russen sind, nachdem es vor der Präsidentenwahl noch aufwärts ging, zuletzt wieder gesunken.

Ab 2019 müssen die Russen wegen höherer Mehrwertsteuer zudem für viele Produkte mehr bezahlen. Der damit anhaltende Frust der Bevölkerung und die Erkenntnis, dass Wahlzettel durchaus als Denkzettel zu gebrauchen sind, macht dem Kreml die Aufgabe, seine Macht zu konsolidieren und zu bestätigen, in näherer Zukunft nicht einfach. (André Ballin aus Moskau, 24.9.2018)