Seit knapp 148 Jahren – genauer: seit dem 13. November 1870 – finden die Abonnementkonzerte der Wiener Philharmoniker im Musikverein statt. Dass das hohe Alter in diesem altehrwürdigen Konzertzyklus geschätzt wird, versteht sich von selbst: Der 91-jährige Herbert Blomstedt jedenfalls musste am Samstagnachmittag noch einmal extra zum Applausempfang auf die Bühne, die Philharmoniker waren da schon in die Garderobe verschwunden.

Es ist eine späte Liebe, die da zwischen Orchester und Dirigent erblüht ist: Erst zu Beginn dieses Jahrzehnts hat sich der Orchesterverein dem ehemaligen Chefdirigenten der Staatskapelle Dresden und Kapellmeister des Leipziger Gewandhausorchesters erstmals anvertraut und ihn vorrangig für Bruckner-Deutungen herangezogen. Nun brachte der in den USA geborene und in Finnland und Schweden aufgewachsene Pastorensohn das Werk eines Komponisten mit, den er als Herausgeber von dessen Werken bestens kennt: Franz Berwald.

Der Spross einer Stockholmer Musikerfamilie feierte im Wien des Jahres 1842 Erfolge als Komponist und heiratet hier auch. Zuvor betrieb er in Berlin ein orthopädisches Institut, danach leitete er in Schweden ein Sägewerk – eine ungewöhnliche Vita. Berwalds Sinfonie singulière in C-Dur ist es wert, entdeckt zu werden. Schon die Grundkonstruktion des 1845 fertiggestellten Werks birgt einige Originalitäten: Das Scherzo ist als Mittelteil in ein Adagio eingearbeitet, der Finalsatz der Dur-Symphonie steht in ruppigem Moll. Per astra ad aspera, sozusagen.

Minitouretteattacken

Aber auch en détail gibt es viel Witziges zu entdecken wie etwa ein paar Minitouretteattacken der Ersten Geigen im herzerwärmend idyllischen Adagio. Die Philharmoniker frönten beim romantischen Dreisätzer meist der fein ziselierten, biedermeierhaften Tonmalerei; es wäre interessant gewesen, wie Nikolaus Harnoncourt, der große Aufbrausende, diese Symphonie gedeutet hätte.

Die herbe, wilde Schönheit von Dvoráks Siebenter beeindruckte nach der Pause, obwohl die Philharmoniker die Komfortzone unter Blomstedts freundlicher Führung nur selten verließen (und sich die Ersten Geigen im Kopfsatz kurz Unsauberkeiten erlaubten). Der Wohlfühlklang des Orchesters umspülte die Zuhörer wonniglich – ein verlässlicher Stimmungsaufheller, den man wohl als Hauptgrund für die lange Beliebtheit dieses Klangkörpers hier und andernorts heranziehen kann. (Stefan Ender, 24.9.2018)