Forscher der TU Wien entwickelten ein Produkt, das die Symptome der Gluten-Unverträglichkeit unterdrücken soll.

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Seit etwa 10.000 Jahren isst der Mensch Getreide. Etwa 0,5 bis ein Prozent der europäischen Bevölkerung vertragen allerdings das Klebereiweiß Gluten nicht, das etwa in Weizen, Gerste, Roggen oder Dinkel enthalten ist. Sie leiden an Zöliakie, bei der es zu einer Entzündung der Dünndarmschleimhaut kommt.

Der Dünndarm hat die Aufgabe, Nährstoffe aus dem Darm in das Blut weiterzuleiten. Durch Faltenbildung und Ausstülpungen der Darmschleimhaut, sogenannte Dünndarmzotten, entsteht eine sehr große Oberfläche. Diese ist notwendig, um die Nährstoffe aus der Nahrung an das Blut weiterzugeben. Bei Zöliakie bilden sich die Dünndarmzotten zurück, die Nährstoffe können nur sehr unzureichend aufgenommen werden, da die Oberfläche des Darms immer kleiner wird. Eine mögliche Folge sind Verdauungsstörungen, Gewichtsverlust und Mangelerscheinungen.

Gluten-Moleküle unschädlich machen

Zwar gibt es bereits Versuche, die Glutenunverträglichkeit zu behandeln, allerdings greifen potenzielle Medikamente ins Immunsystem ein. Mögliche Nebenwirkungen müssen daher sehr sorgfältig untersucht werden. Dazu laufen bereits erste klinische Studien, dass in den nächsten Jahren tatsächlich ein wirksames Arzneimittel auf den Markt kommt, gilt aber eher als unwahrscheinlich.

Forscher der TU Wien wählten daher einen anderen Weg: Sie entwickelten kein Medikament, das ins Immunsystem eingreift, sondern ein Medizinprodukt, das die Gluten-Moleküle direkt attackiert und unschädlich machen soll.

Molekulare Umklammerung

"Unser Körper produziert Antikörper, die genau zu den eindringenden Antigenen passen, wie ein Schlüssel zum Schloss – durch diese Immunreaktion werden diese Antigene unschädlich gemacht. Wenn man nun ein neuartiges Antikörpern-Fragment findet und herstellt, das an das eindringende Gluten-Molekül andockt und es blockiert, ohne aber das Immunsystem anzuregen, dann kann man die Symptome der Zöliakie unterdrücken", erklärt Oliver Spadiut von der TU Wien.

Das Ziel der Wissenschafter war es, einen Komplex aus zwei solchen neuartigen Antikörper-Fragmenten herzustellen, die das Gluten-Molekül gewissermaßen molekular umklammern, sodass es keine weiteren Auswirkungen im Darm mehr haben kann. Konkret müssen dazu bestimmte Bakterien so umprogrammiert werden, dass sie genau das gewünschte Antikörper-Fragment herstellen.

"Die Bildung solcher Proteine in einem Bakterium ist ein höchst komplizierter Prozess", betont Spadiut. "Da kann es leicht passieren, dass die Proteine nicht exakt auf die gewünschte Weise gefaltet werden." Statt der gewünschten Antikörper-Fragmente entstehen dann sogenannte Einschlusskörperchen – kleine Partikel, die aus fehlerhaft gefalteten Proteinen bestehen.

Voraussichtlich 2021 in Apotheken erhältlich

Die Forscher mussten daher einen Prozess entwickeln, um diese Einschlusskörperchen wieder aufzufalten und aus ihnen die gewünschten Proteine zu gewinnen. Solche Prozesse, bei denen die Faltung von Proteinen gezielt geändert wird, sind bisher nicht sehr gut erforscht und daher nicht sehr effizient. "Man muss die chemischen Abläufe bei diesem Prozess sehr genau verstehen und auf komplizierte Weise steuernd eingreifen", sagt Spadiut.

Den Wissenschaftern zufolge ist es nun gelungen, ein geeignetes Verfahren zu entwickeln. "Es wird sich um ein Präparat handeln, das Zöliakie-Patienten zusammen mit glutenhaltigen Lebensmitteln einnehmen können, um die Zöliakie-Symptome zu lindern", heißt es von der TU Wien. "Ob die Symptome dadurch ganz zum Verschwinden gebracht werden oder nur abgeschwächt werden, muss sich erst zeigen – das ist wohl auch von Person zu Person unterschiedlich. Wir rechnen damit, dass das Produkt bereits im Jahr 2021 in gewöhnlichen Apotheken zu haben sein wird", sagt Spadiut. (red, 29.9.2018)