Wird irgendwann als Frau Carrar (oder als andere Bertolt-Brecht-Heroine) wiederkehren: Hanna Binder als triumphierende Zora im Wiener Volkstheater.

Foto: Lupi Spuma / Volkstheater

Etwas vom ruhelosen Geist des Emigranten Brecht muss in Europa umgegangen sein, als Kurt Held (eigentlich: Kurt Kläber) seinen Jugendroman Die rote Zora und ihre Bande 1941 veröffentlichte. Eine Gruppe verwahrloster Jugendlicher steht in striktem Widerspruch zur korrumpierten Wirklichkeit der Erwachsenen.

Küstenstädtchen nachgebaut

An der dalmatinischen Küste bricht für einen hochgewachsenen Buben namens Branko (Luka Vlatković) die Welt zusammen: Die Frau Mama wird zu Grabe gelegt. Der Vater weilt als praktizierender "Teufelsgeiger" in der fernen Welt. Und weil man im Wiener Volkstheater das Küstenstädtchen Senj detailgetreu nachgebaut hat (Ausstattung: Gabriela Neubauer), gehen den jüngsten unter den Theaterbesuchern (ab sieben) zunächst die Augen über.

Ein Trauerzug bewegt resigniert die Beine. Ein bis auf die Knochen verrotteter Hotelier (Steffi Krautz) bemächtigt sich mit unlauteren Mitteln der Fischereilizenzen vor Ort. Regisseur Robert Gerloff und sein Team brauchen sich ganz bestimmt nicht vorwerfen zu lassen, sie würden die Kinder (als potenzielle Abonnenten von morgen) kognitiv unterschätzen.

Besucher der Roten Zora am Arthur-Schnitzler-Platz müssen unbedingt abstrahieren können. Sie sollten imstande sein, Tendenzen zur Monopolbildung – nicht nur beim Fischfang – als solche zu erkennen und aus tiefster Seele zu verabscheuen. Im Gegenzug werden angehende Klippschulmarxisten von Regisseur Gerloff mit Schauwerten belohnt.

Flammendes Plädoyer

Zora (Hanna Binder) und ihre Kumpanen schlagen als Solidargemeinschaft nicht nur einen mordsmäßigen Radau. Sie nehmen den verwaisten Branko in ihrem Burgversteck auf und legen als Selbstversorger ein flammendes Plädoyer für das bedingungslose Grundeinkommen ab. Mit frechen Übergriffen wird die Mehrheitsgesellschaft düpiert. Fast beginnt man, für die lispelnde Fischhändlerin (Claudia Sabitzer) Mitgefühl zu entwickeln. Auch der Dorfgendarm (Gábor Biedermann) wäre geeignet, umgehend zu Louis de Funès und dessen Ordnungshütern nach Saint-Tropez zu übersiedeln.

Viele kleine Verfremdungseffekte ergeben einen erstaunlich unversöhnlichen Kinder-Brecht mit Pep und Rückgrat. Man wird die Parsifal- und Winnetou-Zitate nicht alle dechiffrieren müssen, um seinen Mordsspaß zu haben. Eher schon stimmt einen die Grundhaltung bis über beide Ohren freundlich. Man darf Kinder ruhig strapazieren. Der neoliberale Kapitalismus wird ihnen schließlich auch nichts schenken. Zur Firmung erzählen wir ihnen dann, wer die Rote Zora in den 1970ern wirklich war: eine böse, linksextrem-feministische Terrorgruppe. (Ronald Pohl, 24.9.2018)