Wenn die große Politik Pause macht, schaffen es selbst kleinste Kleinigkeiten in die Medien. Dieses Jahr gebührte der erste Preis fürs Finden des Sommerlochs zwei Abgeordneten der Fraktion Türkis/Schwarz. Ihr Vorschlag: Abgeordnete, die bei Abstimmungen im Nationalrat fehlen, sollen Strafe zahlen. Damit leisten die beiden dem Aberglauben Vorschub, dass die Arbeit eines Abgeordneten aus der möglichst lückenlosen Anwesenheit bei den Plenarsitzungen besteht. Das Ergebnis dieses stillen Zwanges in allen Fraktionen sehen wir bei jeder Übertragung im Fernsehen: Da wird auf dem Notebook geschrieben, auf dem Smartphone gelesen, eine Tageszeitung studiert, mit der Nachbarin geplaudert ... Kein Wunder, was soll man auch tun, wenn man von vielen Tagesordnungspunkten wenig bis keine Ahnung hat.

Der Nationalrat ist eine sehr arbeitsteilige Veranstaltung. Jeder/ jede Abgeordnete hat sich auf einige wenige Themen spezialisiert. Ist Mitglied in den entsprechenden Ausschüssen. Kennt sich dort gut aus – und wenig bis gar nicht bei vielen anderen Gesetzen, die im Plenarsaal besprochen werden. Wir – die Medien, die Öffentlichkeit – zwingen diese Frauen und Männer dazu, sich einen Tag lang Dinge anzuhören, zu denen sie oft wenig inhaltliche Beziehung haben. Was Wunder, dass das in den Bildern der Vollsitzungen gnadenlos zum Ausdruck kommt.

In Deutschland sind Parlament und Öffentlichkeit da schon einen Schritt weiter. Man erwartet zwar, dass Abgeordnete im Parlament sind. Aber man erwartet nicht, dass sie ihre Tage mit Zuhören im Sitzungssaal verbringen. Sie hätten Wichtigeres zu tun: Informanten treffen; sich mit anderen Abgeordneten austauschen; Post erledigen; Infos studieren. Im Saal anwesend sollen nur jene Abgeordneten sein, die mit dem gerade besprochenen Gesetz zu tun haben – also die Mitglieder jener Ausschüsse, die das Gesetz vorbesprochen haben. Der Rest gilt als entschuldigt. Und bei Abstimmungen gilt: Die Regierungsparteien haben die Mehrheit, egal wie viele ihrer Abgeordneten im Saal sind. Wird das von der Minderheit bezweifelt, kann sie eine Vollauszählung verlangen. Und es gibt genug Zeit für Abgeordnete, zu dieser Auszählung zu kommen. Dank dieser klugen Regelung bietet der Deutsche Bundestag selten bis nie das merkwürdige Bild des österreichischen Nationalrats: Volles Haus, aber viele sind bloß körperlich anwesend.

Vorschläge

Wenn wir aber schon bei möglichen Verbesserungen der Arbeit der österreichischen Volksvertreter sind, hätte ich ein paar Vorschläge: An erster Stelle würde ich mir einen Wissenschaftlichen Dienst wünschen, der Abgeordnete aller Fraktionen so umfassend und tief mit Expertise versorgt wie in Berlin. Dort arbeiten an die 200 Fachpersonen in zehn Arbeitsbereichen an umfangreichen Dokumentationen – auf Aufforderung wie auf eigene Initiative. Bei uns sind Abgeordnete oft auf die Auskünfte der Ministerbüros oder befreundeter Sozialpartner-Organisationen angewiesen. Und die haben oft ihre eigene Agenda ...

Zweites Thema: In der Theorie sind die Minister dem Parlament Rede und Antwort schuldig. In der österreichischen Praxis schützen die Abgeordneten der Regierungsparteien die Minister davor, von der Opposition allzu oft befragt zu werden. Ausschüsse tagen dann, wenn "ihre" Minister Zeit haben. Sie tagen nicht, wenn Abgeordnete etwas dringend wissen oder besprechen wollen. Merkwürdige gesetzliche Regeln verpflichten Minister zwar, Anfragen von Bürgern "ohne Aufschub" zu beantworten – Abgeordnete warten gezählte zwei Monate selbst auf banale Auskünfte wie: "Dazu haben wir keine Daten." In Deutschland würde ein Regierungsmitglied, das so mit den Abgeordneten umgeht, umstandslos in den Ausschuss vorgeladen werden.

Und zum Schluss: Jeder deutsche Bundestagsabgeordnete verfügt über ein 53 Quadratmeter großes Büro mit mehreren Zimmern. Und über genug Spesengeld, um damit drei Mitarbeiter zu bezahlen. Unsere Abgeordneten erhalten gerade so viel Geld, dass sie sich einen ambitionierten jungen Mitarbeiter leisten können. Und einen Minischreibtisch im Mehrpersonenbüro ...

Ich denke, es gibt einiges zu tun, damit das Parlament die Rolle spielen kann, die ihm die Verfassung zuweist. Und wenn all das erledigt ist, kann man auch über Strafmandate fürs Abstimmungsschwänzen reden ... (Josef Broukal, 25.9.2018)