Manuel Valls will sein Glück in der spanischen Politik probieren.

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Ist Manuel Valls der lebende Beweis dafür, dass die europäische Politik keine Landesgrenzen mehr kennt? Oder sucht er eher einen Ausweg aus einer politischen Sackgasse? Auf jeden Fall hat der 56-jährige Franzose seine Kandidatur für den Stadtvorsitz von Barcelona (1,6 Millionen Einwohner) bekanntgegeben. "Ja, ich möchte der nächste Bürgermeister von Barcelona werden", sagte er am Dienstagabend in Barcelona auf Katalanisch und dann auf Spanisch. Seit Monaten zeigt er sich mehr in der katalanischen Metropole als in Paris, wo er an sich noch einen Sitz in der Nationalversammlung innehat. Und seit Wochen verhandelt er mit der Mittepartei Ciudadanos, ob er im kommenden Mai deren Kommunalwahlliste anführen soll.

Juristisch wäre das durchaus möglich: Nach dem Maastricht-Abkommen können Europäer in der ganzen EU Lokalmandate ausüben, sofern sie am entsprechenden Ort einen Wohnsitz haben. Valls gibt an, er wohne neuerdings in Barcelona, wo er auch 1962 auf die Welt gekommen war. Sein Vater stammt aus Barcelona, seine Mutter aus Biasca (Südschweiz).

Mit seiner Familie nach Paris übersiedelt, hatte Manuel mit 20 Jahren die französische Staatsbürgerschaft erhalten; die spanische verlor er dabei. Mit Hilfe der Sozialistischen Partei wurde er 2001 Bürgermeister der Banlieue-Stadt Évry, später Minister und 2014 für zweieinhalb Jahre Premierminister von Staatschef François Hollande.

Drohender Dominoeffekt

Dass er nun die Landesgrenzen überspringt, hält der neuerdings im Rollkragenpullover auftretende Vollblutpolitiker für eine "schöne Idee", wie er in einem Interview sagte: "Wenn man Europa wirklich und auf lebende Weise verkörpern will, kann die Bewerbung eines Politikers in einem anderen Land nur dazu beitragen." Konkret will er gegen die katalanische Unabhängigkeit kämpfen: "Wenn ein alter Nationalstaat wie Spanien auseinanderfällt, käme es sofort zu einem Dominoeffekt. Italien, Belgien, Schottland, das Baskenland würden folgen, mit Konsequenzen auch für Frankreich."

In Barcelona rechnet man seit längerem mit Valls' Kandidatur. Meinungsumfragen räumen ihm 15 Prozent der Stimmen ein, womit er über intakte Aufbauchancen verfügen soll. Die zentrumsliberalen Ciudadanos haben dem impulsiven Franzosen, der am rechten Rand der französischen Sozialisten gegen Salafisten und Migranten politisierte, bereits den Teppich ausgerollt.

Valls hat sich aber noch nicht auf eine Liste festgelegt, da er eine parteiübergreifende Allianz der Abspaltungsgegner hinter sich scharen will. Separatisten gifteln bereits, Valls lande wie ein "typischer Franzose" – mit hohem Anspruch, aber magerer Kenntnis der Lokalpolitik. Seine hauptsächliche Verbundenheit mit Spanien sei seine brandneue Lebenspartnerin, die reiche Pharmaindustrieerbin Susana Gallardo Terrededia. Von einem Journalisten gefragt wieviele Stadtbezirke Barcelona zähle, musste Valls bereits einmal passen.

In Paris mangelt es ebenfalls nicht an sarkastischen Kommentaren mit dem Grundtenor, Valls sei nur deshalb auf Barcelona gekommen, weil ihm in der französischen Politik die Zukunft verbaut sei: Er sei in Paris unpopulär, isoliert und ohne Perspektiven, solange Emmanuel Macron – sein früherer Erzfeind in der Regierung – die französische Politik dominiere.

Valls war 2017 bereits beim Versuch gescheitert, die Investitur der Sozialisten für die Präsidentschaftswahlen zu erhalten. Nur mit größter Mühe – und gegen die Vorwürfe von Wahlfälschung – schaffte er es noch, seinen nationalen Abgeordnetensitz zu retten. In letzter Zeit sah man ihn aber kaum mehr in der Nationalversammlung in Paris. Selbst Politikerfreunde befürchten, dass Valls mit seinem originellen Ansatz letztlich zwischen den Stühlen landen könnte. (Stefan Brändle aus Paris, 25.9.2018)