Justizministerin Katarina Barley legt sich mit der katholischen Kirche an-

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Berlin – Im Missbrauchsskandal der Katholischen Kirche in Deutschland steigt der politische Druck, die Taten lückenlos aufzuklären. "Die Bistümer und Orden müssen endlich Verantwortung für jahrzehntelanges Vertuschen und Verleugnen übernehmen", forderte die deutsche Justizministerin Katarina Barley (SPD): "Kindern ist unermessliches Leid zugefügt worden, das sie ein Leben lang verfolgt." Sie forderte: "Die Kirche muss jede Tat anzeigen."

Eine am Dienstag veröffentliche Studie im Auftrag der Kirche dokumentiert tausendfachen Kindesmissbrauch durch Geistliche, befördert durch Kirchenstrukturen und die katholische Sexualmoral. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, bat um Verzeihung für die Taten und bekannte: "Ich schäme mich für das Vertrauen, das zerstört wurde."

Erstmals untersucht

In der bei der Vollversammlung der katholischen Bischöfe präsentierten Studie in Fulda werden erstmals systematisch Fälle sexueller Gewalt in der katholischen Kirche untersucht. Den von der Kirche selbst zur Verfügung gestellten Daten zufolge wurden zwischen 1946 und 2014 insgesamt 1670 Geistliche intern des Missbrauchs beschuldigt. Betroffen waren 3677 Kinder und Jugendliche. Die Dunkelziffer dürfte höher liegen. Einen direkten Zugriff auf die Originalakten hatten die Forscher nicht: Die Archive der Kirche wurden von Kirchenmitarbeitern oder Anwälten durchgesehen.

"Wie massiv aus dem Inneren der Kirche heraus Vertrauen, Abhängigkeiten und Macht missbraucht wurden, ist unerträglich", erklärte Barley: "Der Rechtsstaat kann nur funktionieren, wenn ihm Taten gemeldet werden." Schweigekartelle dürfe es nicht mehr geben. Die Kirche müsse durch unabhängige Untersuchungen sicherstellen, dass das Leid der Opfer dokumentiert und die Verbrechen der Täter aufgeklärt würden, so die SPD-Politikerin. Der Missbrauchs-Beauftragte der Bundesregierung, Wilhelm Rörig, sagte, die Kirche brauche Unterstützung: "Und der Staat darf jetzt nicht mehr als unbeteiligter Zaungast schauen, wie jetzt Aufarbeitung im kirchlichen Bereich sichergestellt wird."

Großteil der Opfer unter 13

Der forensische Psychiater und Studien-Koordinator Harald Dreßing zeigte sich über das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs und den Umgang der Kirche damit erschüttert. Mehr als die Hälfte der Opfer war beim ersten sexuellen Missbrauch maximal 13 Jahre alt gewesen; Mehrfachtaten waren häufiger als einmalige Vorfälle. Selbst der Beichtstuhl sei zur Tatanbahnung oder Verschleierung genutzt worden, sagte Dreßing. Von den im Rahmen der Studie interviewten Opfern berichte die Hälfte von aktuellen post-traumatischen Problemen wie etwa Depressionen. Flogen die Taten auf, wurden die Täter häufig nur auf andere Posten versetzt.

Dreßing sagte, es gehe nicht nur um Fehlverhalten Einzelner. Es gebe "spezifische Strukturmerkmale der katholischen Kirche, die sexuellen Missbrauch Minderjähriger begünstigen und die Prävention auch heute noch erschweren". Konkret nannte er: "Missbrauch klerikaler Macht, ein problematischer Umgang mit Sexualität, insbesondere Homosexualität, mit dem Zölibat und dem Sakrament der Beichte." Das grundsätzliche Risiko bestehe fort.

Marx sagte: "Ich schäme mich für das Vertrauen, das zerstört wurde; für die Verbrechen, die Menschen durch Amtspersonen der Kirche angetan wurden; und ich empfinde Scham für das Wegschauen von vielen, die nicht wahrhaben wollten, was geschehen ist, und die sich nicht um die Opfer gesorgt haben. Das gilt auch für mich." Allzulange sei "Missbrauch geleugnet, weggeschaut und vertuscht worden". Der Erzbischof fügte hinzu: "Für alles Versagen und für allen Schmerz bitte ich um Entschuldigung."

Die Kirche wird derzeit weltweit von Missbrauchsskandalen erschüttert, darunter in den USA, in Irland und in Argentinien, dem Herkunftsland von Papst Franziskus. Er will im Februar mit den Chefs der weltweiten Bischofskonferenzen darüber beraten. (APA, Reuters, 25.9.2018)