14 Journalisten der Zeitung "Cumhuriyet" wurden allein im April festgenommen. Anklagen werden oft nachträglich konstruiert.

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Ein Gericht in der Türkei hat am vergangenen Donnerstag über den österreichischen Studenten und Journalisten Max Zirngast Untersuchungshaft verhängt. Zirngast wird beschuldigt, Mitglied einer "staatsfeindlichen Organisation" zu sein, offenbar meint man damit die verbotene Linksorganisation TKP/Kivilcim. Als "Beweise" gelten offenbar Bücher des ehemaligen kommunistischen Politikers Hikmet Kivilcimli, die in Zirngasts Wohnung gefunden wurden.

Der bloße Besitz eines Buches aus der Unibibliothek als Grundlage des Terrorverdachts mag überraschen, doch ist eine solche fadenscheinige Vorgangsweise durchaus ein üblicher Teil des türkischen Vorgehens gegen Regierungskritiker, insbesondere Journalisten, Akademiker, Anwälte, Richter und zahllose Mitglieder der Zivilgesellschaft. In diesem Sinne ist Zirngasts Notlage alles andere als einzigartig.

Laut dem in Wien ansässigen International Press Institute (IPI), einem globalen Netzwerk für Pressefreiheit, sind derzeit 165 Journalisten in der Türkei inhaftiert. Oft werden sie beschuldigt, gleichzeitig ideologisch völlig unterschiedliche Organisationen zu unterstützen, beispielsweise die islamische Gülen-Bewegung, die kurdische PKK und verschiedene linke Gruppierungen. Journalistische Artikel, Social-Media-Postings und in beruflichem Zusammenhang stehende Tätigkeiten werden als Beweise für Verbindungen zu solchen verbotenen Organisationen vorgebracht. Zusammengestoppelt werden diese Vorwürfe in politisierten und widersprüchlichen Anklageschriften, die weit hinter rechtsstaatlichen Standards zurückbleiben.

Tageszeitung "Cumhuriyet"

Die Verfahren selbst ähneln trotz der Bemühungen hochqualifizierter Verteidiger häufig einer Farce. Allein im April dieses Jahres wurden 14 Journalisten und Mitarbeiter der säkularen Tageszeitung "Cumhuriyet" wegen angeblicher Unterstützung der Gülen-Bewegung zu Haftstrafen verurteilt. Die Tatsache, dass die Zeitung selbst seit langem ein lauter Kritiker des in Pennsylvania lebenden Klerikers Fethullah Gülen war, blieb dabei unbeachtet.

Im Fall des ehemaligen prominenten "Cumhuriyet"-Kolumnisten Kadri Gürsel galten als ausreichende Beweise für seine Unterstützung der Gülen-Bewegung Anrufe und SMS-Nachrichten, die er von angeblichen Gülen-Anhängern erhalten und weitgehend ignoriert hatte.

"Der Vertreter der Anklage muss die Tatsache ignoriert haben, dass ich Journalist bin", sagte Gürsel vergeblich. "Sie können mir nicht vorwerfen, dieselben politischen Ansichten zu teilen wie Leute, die mich anrufen. Journalisten haben das Recht, mit einer ganzen Reihe von Menschen im Land zu sprechen, um vollständige und fundierte journalistische Artikel zu schreiben."

Auch Ausländer ungeschützt

In der Türkei sind hunderte Journalisten Opfer fehlender Rechtsstaatlichkeit mit teils gravierenden Folgen. Der kurdische Fotojournalist Nedim Türfent, der über angebliche gewaltsame Übergriffe durch türkische Spezialeinheiten berichtete, wurde im vergangenen Dezember zu acht Jahren Haft verurteilt, ohne an seinem eigenen Prozess teilnehmen zu können. 19 Zeugen der Anklage gaben an, unter Folter ausgesagt zu haben.

Ausländische Reporter sind nicht immun gegen diese Willkür. Der "Welt"-Korrespondent Deniz Yücel wurde fast ein Jahr lang in Einzelhaft gehalten, bevor die Staatsanwaltschaft schließlich eine offizielle Anklage gegen ihn vorbrachte, die dann letztlich aus knapp drei Seiten bestand und kühn 18 Jahre Haft forderte. Als "Beweise" wurden Nachrichtenartikel vorgebracht, die der Regierung anscheinend missfielen.

Wie Zirngast wurde Yücel, ein deutsch-türkischer Staatsbürger, als Pfand in den außenpolitischen Beziehungen der Türkei gesehen. Nach Yücels Freilassung Anfang des Jahres gab es Spekulationen darüber, ob Kanzlerin Angela Merkel Gegenleistungen für Yücels Freiheit versprochen hatte. Ungeachtet dessen zeigt der Vorfall einmal mehr die Missachtung der Rechtsstaatlichkeit, wovon fast alle Prozesse gegen Journalisten, inländische wie ausländische gleichermaßen, in der Türkei gekennzeichnet sind. Tatsächliche Beweise werden als unwesentlich angesehen. Anklagen werden nachträglich konstruiert. Die Gerichte garantieren nicht die grundlegendsten Grundsätze eines fairen Verfahrens, wie sie in den europäischen Menschenrechtsnormen verankert sind. Urteile, die von den Wünschen der Exekutive gekennzeichnet sind, verletzen routinemäßig die Meinungsfreiheit der Angeklagten.

Spiel der Mächtigen

Die Türkei muss Max Zirngast und alle anderen Personen freilassen, die wegen der Ausübung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung oder akademische Freiheit inhaftiert sind. In ihrem Bemühen, ihre Bürger zu schützen, müssen Österreich, Deutschland und andere Länder mit der Türkei zusammenarbeiten, um sie in den Klub der Nationen zurückzubringen, die sich an die Rechtsstaatlichkeit halten. Denn nur in einem System, in dem das Gesetz zu einem Spiel für die Mächtigen wird, können Journalisten, Menschenrechtsaktivisten und Akademiker zu Tauschobjekten werden. (Scott Griffen, 25.9.2018)