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Labour-Parteichef Jeremy Corbyn hält am Mittwoch seine Rede.

Foto: Reuters / Phil Noble

Auf dem Jahrestreffen der oppositionellen Labour-Party ist der innerparteiliche Konflikt über die beste Brexit-Politik offen zutage getreten. Der zuständige Schattenminister Keir Starmer machte sich in seiner programmatischen Rede zwar die von der Parteispitze vorgegebene Forderung nach Neuwahlen zu eigen, ließ aber die Möglichkeit eines zweiten Referendums offen. "Und niemand schließt den EU-Verbleib aus", sagte Starmer unter dem Jubel der meisten Delegierten, die den 56-Jährigen mit Standing Ovations feierten.

Streng genommen hielt sich der frühere Leiter der Kronanwaltschaft mit seiner Formulierung an einen am Sonntag nach sechsstündiger Sitzung ausgehandelten Kompromiss zwischen der EU-skeptischen Parteispitze um den Vorsitzenden Jeremy Corbyn und 151 Ortsvereinen, welche eine sofortige Kampagne für eine zweite Volksabstimmung befürworteten. Dennoch enthält Starmers Satz Dynamit. Sowohl der mächtige Gewerkschaftsboss Leonard McCluskey als auch Schattenfinanzminister John McDonnell, ein enger Corbyn-Vertrauter, hatten in den vergangenen Tagen davon gesprochen, bei einem Referendum könne lediglich über unterschiedliche Brexit-Wege abgestimmt werden.

Damit stehen die Altlinken, 67 und 68 Jahre alt, in klarem Gegensatz zum Parteivolk – zumal zu jenen jüngeren Mitgliedern, die Labour seit Corbyns Wahl zum Parteichef 2015 beigetreten sind. Einer Umfrage zufolge wünschen sich 86 Prozent der mehr als eine halbe Million Mitglieder die neuerliche Volksabstimmung. Im Wahlvolk selbst halten sich Befürworter und Gegner ungefähr die Waage. Die konservative Regierung von Premierministerin Theresa May hat sowohl Neuwahlen wie auch das zweite Referendum kategorisch ausgeschlossen.

Angst um Parlamentssitze

Der Jubel um Starmer führte sofort zu Kritik der EU-Feinde. Die Splittergruppe Labour Leave bezichtigte den Londoner Abgeordneten, er positioniere sich als EU-freundlicher Herausforderer seines Wahlkreisnachbarn Corbyn. "Enttäuscht" äußerte sich der eigentlich proeuropäische Abgeordnete Gareth Snell, dessen Wahlkreis Stoke mit mehr als 70 Prozent für den EU-Austritt gestimmt hatte. Wie Snell müssten Dutzende Labour-Abgeordnete aus der Mitte und dem Norden des Landes um ihre Sitze fürchten, sollte sich Labour als Antibrexitbewegung positionieren.

Freilich ist die alte Arbeiterpartei von einer klaren Position weit entfernt. Im vergangenen Jahr stimmte die große Mehrheit der Unterhausfraktion, darunter Corbyn, mit der Regierung für den Austritt zum Ende März 2019. Auch bei der vorgezogenen Wahl hielt die Partei am Brexit fest. Allerdings hat Starmer seinen Vorsitzenden auf eine weiche Austrittslösung mit Zollunion und privilegiertem Zugang zum Binnenmarkt festgelegt.

Labours Brexit-Sprecher bestätigte auch die Entschlossenheit der Partei, der von May mit ihrem Chequers-Papier angestrebten Hybridlösung die Zustimmung zu verweigern. "Notfalls muß das Parlament die Initiative übernehmen." Allerdings besitzt dort die Regierung das Initiativrecht. (Sebastian Borger aus Liverpool, 25.9.2018)