Wer in den neuesten Skyspace von James Turrell eintauchen möchte, muss über die letzten Häuser von Oberlech hinaus auf den Berg hinauf. Ganz bewusst, nämlich zu Fuß, soll man sich dem Ort nähern, wünschte sich der Künstler.

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Foto: Florian Holzherr

Von vier möglichen Standorten, die ihm die Lecher anboten, suchte sich Turrell jenen aus, der am weitesten vom Dorf entfernt ist. Nicht nur wegen der Lichtverschmutzung, die auf der Bergeralp, 1789 Meter hoch gelegen, geringer ist als im Siedlungsgebiet. Der US-Künstler war vom Blick auf den Biberkopf, der sich ihm von dem kleinen Hügel aus bot, fasziniert. Er zog eine imaginäre Linie vom markanten Berggipfel durch den Eingangstunnel ins Zentrum des Skyspace. Bei Sonnenauf- und Sonnenuntergang ist der Berg einer der Hauptdarsteller im Lichtspieltheater der Natur.

Zwischen Biberkopf und dem Skyspace in Lech zog James Turrell eine imaginäre Linie. Farbiges LED-Licht im Inneren wetteifert mit der Natur.
Foto: Florian Holzherr

Turrells Installationen vermögen es, Räume aufzulösen. Das solide Werk der Architekten wird im Zusammenspiel von Licht und Farbe unsichtbar. Erspart hat das der US-Amerikaner auch Ikonen wie Frank Lloyd Wrights New Yorker Guggenheim Museum nicht. 2013 verhüllte er die berühmte Rampe des Baus, transformierte sie in einen Lichtraum.

Manch einem Architekten schmeckt das gar nicht. Und so hat es im von Richard Meier erbauten Museum Frieder Burda in Baden-Baden angeblich zwei Anläufe gebraucht, um eine Ausstellung von Turrells Werk zu realisieren. In The Substance of Light (bis 28. 10.) flutet das LED-Licht den Ecken und Kanten verlierenden Raum, hüllt ihn in farbige Nebel ein. Das Körperlose scheint stofflich zu werden, zur greifbaren Substanz. Besonders intensiv ist die Wirkung der wechselnden Lichteffekte in den sogenannten Ganzfeldern: Apani stahl bereits 2011 bei der Biennale Venedig Besuchern die Orientierung, machte sie zu Lichttauchern, die womöglich mit offenen Augen das Licht sahen, das sie aus ihren Träumen kennen. Das ist es, was Turrell interessiert.

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Auch im Jüdischen Museum in Berlin wurde in diesem Sommer mit Aural ein solches Ganzfeld installiert (bis 30. 9.). Sie berühren, verstören, beglücken, ja, die Leute berichten sogar von religiösen Erfahrungen, die sie in Turrells Lichträumen gemacht haben, von mentalen Orgasmen – in Turrells Skyspace im New Yorker PS1 wurde sogar ein Kind gezeugt.

Die Skyspaces des Lichtbildhauers sind Räume, die keinen anderen Zweck verfolgen, als über eine runde, ovale oder rechteckige Öffnung in der Decke den Himmel zu beobachten. In Lech ist es ein Oval, das je nach Witterung die Blicke der auf (geheizten) Granitbänken Sitzenden hoch in den Himmel lenkt. Ein Skyspace im Hochgebirge muss wetterfest sein. So sperrt eine verschiebbare Kuppel Regen und Schnee aus und macht aus dem Steinrondell einen Ganzfeldraum.

Im Inneren des Skyspace in Lech am Arlberg
Foto: Florian Holzherr

Die Idee für die Skyspaces kam dem 1943 geborenen Sohn einer Quäkerfamilie schon als Bub. Bei den Meditationen seiner streng religiösen Familie wurde ihm die Zeit arg lang, und so stellte er sich vor, die Decke würde sich zum Himmel öffnen.

Der Himmel, kein Nichts

Beim Fliegen könne man feststellen, dass "der Himmel nicht nichts ist", sagt der Künstler, der schon als Teenager fliegen lernte, später Mathematik und Psychologie studierte. "Man fliegt durch etwas fast Flüssiges hindurch, die Luft wird zum Material, einem wunderbar intensiv leuchtenden Material." Material, das – je nach Witterung und Tageszeit – in allen vorstellbaren Blautönen strahlt. Sogar sein glimmendes Schwarz trage noch alle Farben in sich, schwärmen Menschen von der Intensität der Turrell'schen "Tore zum Himmel".

Es ist diese ebenso meditative wie sinnliche Erfahrung, dass Licht eine physische Präsenz hat, die Turrell vermitteln will. Licht als Lebenselixier, das wir über die Haut aufnehmen. Es geht aber auch um eine nach innen gerichtete Wahrnehmung, um das Stillwerden fern des Zivilisationslärms. Ihn selbst hat der Blick in den Himmel über der Wüste gelehrt, wie einsam der Mensch auf dem Globus sei, ausgesetzt in der Unendlichkeit des Universums.

Fast überall auf der Welt, an 75 Standorten, hat Turrell bereits Skyspaces errichtet. Und auch Wien hat einen: Als das Mak 1998 einige von Turrells mit der Illusionskraft künstlichen Lichts spielende Installationen zeigte, entstand im Museumsgarten The Other Horizon: Ein schlichtes Wellblechhüttchen, in dem der Einzelne schauend die Distanz zwischen Himmel und Erde überwindet. Heute steht es vor dem Geymüllerschlösschen.

An der Mutter aller Skyspaces, dem Roden Crater in der Wüste Arizonas, arbeitet Turrell seit 1974. Vom Flugzeug aus hat er den erloschenen Vulkan entdeckt, gräbt seither Tunnel und Schächte in das Gelände, um von dort Ausschnitte des Himmels zu beobachten. Millionen von Dollar hat das Projekt bereits verschlungen. 2024 soll es für die Öffentlichkeit zugänglich werden. Vorausgesetzt, es kommen genügend Spenden zusammen. Auch der Lecher Skyspace wurde privat finanziert. Der Verein Horizon Field sammelte 1,5 Millionen Euro, 90 Prozent der Kosten. (Jutta Berger, Anne Katrin Feßler, 26.9.2018)