Andrea Berntzen auf der Flucht in "Utøya, 22. Juli".

Foto: Agnete Brun

An die Felswand am Ufer gekauert, völlig durchnässt und erschöpft, überlegen sich das Mädchen und der Bursche, was sie als Erwachsene noch erleben wollen. Ministerin möchte sie werden, sagt Kaja (Andrea Berntzen), in der VIP-Lounge von Manchester United möchte er sitzen. Die wirklich entscheidende Frage an diesem Tag auf der norwegischen Ferieninsel Utøya ist allerdings, ob die beiden jemals eine Wahl haben werden. Zweimal taucht in diesem Film schemenhaft eine männliche Gestalt auf, die Anders Breivik sein soll.

Weltkino Filmverleih

Das man den Attentäter in Utøya, 22. Juli nicht zu Gesicht bekommt, entspricht dem Konzept von Regisseur Erik Poppe, den Anschlag ausschließlich aus der Sicht der Opfer zu reinszenieren. Die Entscheidung, sich dabei auf eine einzige Darstellerin zu konzentrieren, erscheint plausibel. Eineinhalb Stunden lang verfolgt die Handkamera – in einer einzigen Einstellung – die Flucht Kajas durch den Wald und in diverse Verstecke, während das Geräusch der Schüsse immer näher rückt. Utøya, 22. Juli setzt ganz auf die unmittelbare Wirkung und das Prinzip der Anverwandlung: So muss es sich angefühlt haben, wenn man dabei war, das muss man gesehen und so gefühlt haben. So lange hat es gedauert, bis man endlich gerettet wurde.

Effekt als Konzept

Die persönlichen Geschichten wie jene von Kaja sind ebenso frei erfunden wie die Personen. Anhaltspunkte waren Zeugenberichte und bekannte Fakten. Poppes Aufarbeitung des Anschlags wirkt in dieser Form wie der filmische Gegenentwurf zu Åsne Seierstads Bestseller Einer von uns, in dem die norwegische Journalistin die Hintergründe des Attentats als literarische Reportage ausleuchtet. Utøya, 22. Juli macht exakt das Gegenteil: Er braucht keine Effekte zu bemühen, weil er bereits von Beginn an als ein solcher konzipiert ist. (pek, 26.9.2018)