Im Stück "Gutmenschen" von Yael Ronen und Ensemble am Volkstheater Wien hat Yousif Ahmad einen 30-Sekunden-Auftritt. Länger ist ihm nicht erlaubt.

Foto: Lupi Spuma

Yousif Ahmad sitzt in einem Zimmer im dritten Stock des Volkstheaters und beantwortet erstmals Fragen. 2015 ist der junge Mann aus dem Irak nach Österreich geflohen und wurde völlig überraschend gleich zu einer Figur in einem damals am Haus geprobten Stück, Lost and Found. Es wurde später mit dem Nestroy-Preis ausgezeichnet. Selbst auf der Bühne stand Ahmad aber erst in der Folgeproduktion Gutmenschen, die letzten Februar Uraufführung hatte. Mehr als ein 30-Sekunden-Auftritt war aber nicht drin, denn Ahmad darf nicht arbeiten. Sein Asylantrag wurde erstinstanzlich abgelehnt.

Das Theater hat ihn damals aufgefangen, sagt er. Wie viele andere auch. Theaterhäuser im gesamten deutschen Sprachraum haben wie kaum eine andere Kunstinstitution unmittelbar auf die Migration reagiert, sowohl künstlerisch als auch sozial. Auf nachtkritik.de sind über 80 Häuser gelistet, die sich der Refugee-Welcome-Devise verschrieben haben.

Berliner Ensemble zeigte Flagge

Der Satz von Matthias Lilienthal, Intendant der Münchner Kammerspiele, hallt heute noch nach: "Gute Sozialarbeit ist mir lieber als schlechte Kunst!" Es wurden Theaterwohnungen zur Verfügung gestellt, Freikartenkontingente ausgegeben, Benefizevents veranstaltet, soziale Einbindung gewährleistet. Sogar das Berliner Ensemble zeigte Flagge und hisste eine Fahne mit der Aufschrift "Wo Häuser brennen, brennen auch Menschen."

Die drängende Migration hat ihre Spuren auch auf den Spielplänen hinterlassen. Nicht nur war die "Ausländerin" Medea noch öfter als sonst im Programm zu finden. Es entstanden auch neue Stücke und Arbeitszusammenhänge, die sich unmittelbar mit Flüchtlingsfragen beschäftigten. Das Theater war so intensiv herausgefordert wie seit dem Mauerfall oder der Finanzkrise nicht mehr. Theater ist eben ein Diskursmedium und hat die Aufgabe, sich zu drängenden gesellschaftlichen Themen zu verhalten. Auf der Bühne werden Konflikte ausgetragen, Reflexions- und Erfahrungsräume eröffnet. Und obendrein ist das Theater ein Behauptungslieferant, an dem sich Weltanschauungen reiben. Kein Wunder also, dass das Leid und die Not schutzsuchender Menschen die Dramaturgiestuben 2015 wie im Sturm erfasst haben.

"Große Familie" Theater

Es wurden "Schlepperopern" geschrieben (Andcompany & Co, nach der Oper L'Orfeo von Claudio Monteverdi) und Flüchtlingschöre aufgestellt (in Jelineks Die Schutzbefohlenen), es wurden Exilensembles gegründet und Geflohenen in Dokumentartheaterstücken eine Stimme gegeben.

Wie eben auch Yousif Ahmad im Volkstheater Wien. Nach drei Jahren des Wartens in Österreich spricht er gut Deutsch und könnte als ausgebildeter 3D-Designer und studierter Marketingexperte wertvollen Input leisten. Jobangebote hätte er genug, doch wegen der fehlenden Arbeitserlaubnis kann er diese nicht annehmen.

"Es war nicht leicht, meine Geschichte auf der Bühne zu erzählen, aber es war die einzige Möglichkeit", sagt Ahmad, für den das Theater, das sich auch sonst oft als "große Familie" bezeichnet, eine solche geworden ist.

Authentizitätszwang

Der Umstand, dass Geflüchtete sich selbst spielen, ist nicht unumstritten. Schnell ist von Authentizitätszwang die Rede. Umgekehrt existiert auch die Ansicht, es sei vermessen, wenn Schauspieler die Existenznot Geflohener imaginieren. Solche Repräsentationsfragen haben den Theaterdiskurs nachhaltig angeheizt, siehe etwa Jacqueline Kornmüllers Die Reise im Volkstheater oder Badluck Aleppo im Hamakom Wien, wo Betroffene selbst aufgetreten sind.

Grundsätzlich aber wird der klischeehafte Fokus beim Thema Flucht kritisiert: Alireza Daryanavard, dessen Stück Ein Staatenloser derzeit in Wien läuft, meint, "es sollte am Theater endlich mehr über Fluchtursachen gesprochen werden, statt immer wieder dieselben Schicksale zu zeigen". Auch Anne Wiederhold, künstlerische Leiterin der Wiener Brunnenpassage, kritisiert den "mehrheitsgesellschaftlichen Blick" der Inszenierungen. Das reproduziert leider oft Klischees. Flüchtlinge werden als arm und ohnmächtig geframt, was einer völlig einseitigen Abbildung entspricht.

Theaterstück in Vorbereitung

"Ich bin hier in Österreich nicht Yousif, sondern ein Flüchtling", konstatiert Ahmad. Inzwischen hat er ein Buch geschrieben. Auch ein Theaterstück ist in Vorbereitung. Es handelt von den Verbindungen zwischen Upperclass und Mafia. "Davon habe ich sowohl im Irak als auch in der Türkei viel mitbekommen. Ich hoffe, dass ich dieses Theaterprojekt eines Tages umsetzen kann." (Margarete Affenzeller, 27.9.2018)