Einer der in Playa Venado gefundenen Schädel. Er weist zwar eine Verletzung auf – doch die war zum Zeitpunkt der Bestattung bereits wieder verheilt.
Foto: Nicole Smith-Guzmán, STRI

Panama-Stadt – Dem US-Amerikaner Samuel Kirkland Lothrop (1892–1965) wird bis heute für seine Beiträge zur archäologischen Erforschung Mittel- und Südamerikas Anerkennung gezollt. Anscheinend konnte er aber auch mal komplett danebenliegen – das legt jedenfalls eine aktuelle Studie nahe, die im Fachjournal "Latin American Antiquity" erschienen ist.

1951 stieß Lothrop nahe dem pazifischen Ende des Panamakanals auf die sterblichen Überreste von etwa 220 Menschen. Als er die aus dem 5. bis 9. Jahrhundert unserer Zeitrechnung stammende Fundstätte von Playa Venado 1954 in einem Fachjournal vorstellte, geizte er nicht mit reißerischen Beschreibungen: Die Menschen seien damals nicht einfach nur getötet worden, sondern abgeschlachtet, geköpft, verstümmelt und/oder lebendig begraben, vielleicht sogar kannibalisiert – es soll ein Massaker gewesen sein.

Skelett einer Frau, die mit einer Keramikschale bestattet wurde.
Foto: Courtesy of Ripon College, Kenneth Vinton estate

Doch nun tritt ein Forscherteam um Nicole E. Smith-Guzmán vom Smithsonian Tropical Research Institute kräftig auf die Bremse, was Schockfaktoren anbelangt. Smith-Guzmán ließ die Funde noch einmal genau untersuchen und kam zu einem völlig anderen Bild. Die Gebeine von 77 Toten wurden dafür nach Washington ins National Museum of Natural History geschickt und mit heutigen Methoden untersucht.

Dabei fand Smith-Guzmán nur Spuren von Verletzungen, die bereits wieder ausgeheilt waren, nicht jedoch von solchen, die zum Tod geführt hätten. Verrenkte Körperhaltungen führt die Forscherin auf ganz natürliche Zerfallprozesse der Leichen zurück, die Münder dürften nicht aus Schock wegen unsagbarer Peinigung, sondern wegen simpler Erschlaffung der Muskulatur offen gestanden haben.

Gebrochene Knochen wiederum dürften ihre Ursache in der Praxis von Mehrfachbestattungen haben, für die es in Playa Venado und anderen Fundstätten Anzeichen gibt. Das bedeutet, dass Gräber wieder geöffnet wurden, um die Toten umzubetten oder sie mit Angehörigen wiederzuvereinigen. Smith-Guzmán glaubt, dass dies im präkolumbischen Panama eine gängige Praxis war – anstatt mit einem Massaker hätte man es also eher mit einem Fall von besonderer Fürsorge bis über den Tod hinaus zu tun.

Nicole E. Smith-Guzmán hatte eine beträchtliche Menge von Gebeinen zu untersuchen.
Foto: Sean Mattson, STRI

Lothrops grausigen Report schreibt die Forscherin der "romantischen Archäologie" seiner Zeit zu – ohne aber deswegen seine wissenschaftlichen Leistungen schmälern zu wollen. Damals habe man einfach noch nicht das bioarchäologische Instrumentarium zur Verfügung gehabt, mit dem man heute sterbliche Überreste interpretieren kann.

Zudem hätte sich die Forschung damals noch zu sehr auf historische Überlieferungen gestützt – die jedoch höchst einseitig waren. Die spanischen Chronisten waren laut Smith-Guzmán sehr motiviert, die Ureinwohner als Barbaren darzustellen, die dringend der europäischen Zivilisation bedurften. (jdo, 30. 9. 2018)