Zum ersten Mal seit Tagen können die Geretteten am Horizont wieder Land erahnen. Vor Malta herrscht raue See.

Foto: Bianca Blei

Auf der Aquarius gibt es strenge Regeln. Sollte es zu einem längeren Aufenthalt auf hoher See kommen, werden zudem alle drei Tage die Duschen geöffnet: "Das kann bis zu neun Stunden dauern, wenn wir viele Menschen an Bord haben", beschreibt Edouard Courcelle, MSF-Logistiker an Bord, den Aufwand.

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Auf der Brücke der Aquarius werden die nächsten Schritte besprochen.

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Mit ausgestreckten Zeigefingern laufen die Menschen auf die Backbordseite der Aquarius. Manche machen Fotos von dem kleinen Streifen am Horizont, der immer größer wird. Zum ersten Mal seit Tagen sehen die geborgenen Flüchtlinge an Bord des Rettungsschiffs von SOS Méditerranée und Ärzte ohne Grenzen (MSF) Land – genauer gesagt: Malta.

Doch die Aquarius darf nicht in die Hoheitsgewässer des Inselstaats einfahren. Immer wieder muss das Schiff wenden, um in internationalen Gewässern zu bleiben. Die maltesischen Behörden und die Schiffscrew warten darauf, dass sich das Wetter bessert und der Seegang beruhigt. Noch wäre es zu gefährlich, die Menschen auf offener See von der Aquarius auf ein maltesisches Schiff zu transferieren, um sie dann weiter nach Frankreich, Spanien, Portugal und Deutschland zu bringen.

Doch die Situation an Bord birgt Risiken: "Kinder sollten nicht so lange auf einem Schiff bleiben", sagt Aloys Vimard, der MSF-Projektleiter an Bord. Sie könnten sich beim Herumlaufen verletzen, vor allem wenn die See so rau ist. Auch Erwachsene sollten nicht so lange bei dem Wellengang auf dem Deck schlafen. Vimard begrüßt die europäische Einigung über die Aufteilung der Geretteten. "Trotzdem braucht es mehr als immer nur Ad-hoc-Lösungen", sagt Vimard.

Schnelle, sichere Rettung

Dass Frankreich den Hafen in Marseille nicht für die Geretteten öffnen will, weil Malta und Italien näher liegen, sei zwar im Sinne des Seerechts, das besagt, dass die Retter in den nächstgelegenen sicheren Hafen einlaufen müssen, "aber es heißt dort auch, dass das so schnell wie möglich passieren muss", kritisiert Vimard.

Am Donnerstagmorgen erfuhr die Besatzung des Hilfsschiffs zudem aus den Medien, dass am Vortag drei Abgeordnete des Schweizer Bundestags eine Anfrage gestellt haben, der Aquarius die eidgenössische Flagge zu verleihen, nachdem Panama erklärt hatte, seine Flagge zu entziehen. "Wir können nicht gleichgültig auf die Situation der Migranten reagieren, die sich im zentralen Mittelmeer in Gefahr befinden", sagte ein Parlamentarier im Schweizer Rundfunk. Die rechte Partei SVP hat jedoch angekündigt, sich gegen eine solche Maßnahme querzulegen.

Auch in Irland überlegen Politiker, mit ihrer Flagge einzuspringen. Der irische Premier Leo Varadkar sagte, dass für eine Registrierung zwar zuerst ein Antrag vom Schiffseigner gestellt werden müsse, eine Verleihung der Flagge aber nicht ausgeschlossen werde. Für Vimard sind die Anfragen aus der Schweiz und Irland "gute Nachrichten".

Strenge Regeln an Bord

Auf der Aquarius beginnt die Essensausgabe an die Geretteten. Dabei gibt es strenge Regelungen. So wird ein- bis zweimal pro Tag ein Essenspaket verteilt und zusätzlich einmal Tee ausgeschenkt. Dabei werden die Menschen nach Geschlechtern getrennt in Reihen aufgestellt, die rotieren, damit sichergestellt ist, dass tatsächlich jede Person nur ein Paket erhält. Sollte es zu einem längeren Aufenthalt auf hoher See kommen, werden zudem alle drei Tage die Duschen geöffnet: "Das kann bis zu neun Stunden dauern, wenn wir viele Menschen an Bord haben", beschreibt Edouard Courcelle, MSF-Logistiker an Bord, den Aufwand.

Gefährliche Zwischenfälle gebe es selten, sagt Courcelle. Manchmal komme es zu Streitereien unter Jugendlichen verschiedener Ethnien, die auch in ihren Herkunftsländern verfeindet sind. Um diese Streits zu schlichten, macht Courcelle bereits im Vorfeld jene Personen in den einzelnen Gruppen aus, die den größten Respekt genießen und die Sprache der Betroffenen sprechen. Dadurch ließen sich die meisten Kämpfe beilegen, sagt er.

Eigentlich noch Kinder

Courcelle selbst war in einem früheren Beruf Erzieher und verstehe Jugendliche deshalb, erzählt er: "Viele von ihnen sind allein unterwegs, teilweise zu erwachsen für ihr Alter, aber eigentlich noch Kinder." Manche hätten heimlich Puppen dabei, obwohl sie sich im Alltag erwachsen geben. "Man darf ihre Provokationen nicht persönlich nehmen."

Für ihn ist es einfacher, große Gruppen an Bord zu managen als kleinere. Bei einer geringen Menschenanzahl wäre es für Individuen einfacher, sich zu produzieren, sagt Courcelle. In größeren Gruppen würden sie sich eher fügen: "Die Menschen zeigen wirklich große Geduld, obwohl sie auf engem Raum leben und teilweise über zig Personen steigen müssen, um zur Toilette zu gehen oder sich Wasser zu holen", beschreibt der Logistiker die Situation. Mit Waffen habe er bis dato selten zu tun gehabt: "Seit 2016 hatten zwei Menschen Messer dabei. Einer hat es bei seiner Rettung über Bord geworfen, das andere haben wir konfisziert." Schusswaffen oder Ähnliches seien noch nie mitgereist: "Alles, was diese Personen dabeihaben, sind ihr Smartphone, Geld und Kleidung." (Bianca Blei, 27.9.2018)