Bundespräsident Alexander Van der Bellen zu Gast bei Rabbi Arthur Schneier (Mitte) in New York.

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Entweder die Volksschüler haben ein ungewöhnlich gutes Allgemeinwissen. Oder sie haben geübt: "Wisst ihr, wo Österreich ist?", fragt die Lehrerin die jungen New Yorker. "Ja!", lautet die Antwort, "in Europa." Auch die Nachbarländer können die Kinder aufzählen: Deutschland, Ungarn, die Schweiz, Tschechien. Einer von ihnen war sogar schon einmal dort, erzählt er später, als der hohe Gast aus Österreich, Präsident Alexander Van der Bellen, zu seiner Rede erscheint und von dem Schüler einen Blumenstrauß überreicht bekommt. "Es ist eigentlich ein sehr nettes Land", erzählt er, als er Van der Bellen das Geschenk übergibt. Er betont den Satz ein wenig so, als ob er es verteidigen müsste.

Vieles, was die Schülerinnen und Schüler über Österreich wissen, lässt das Land nämlich in einem ganz und gar nicht netten Licht erscheinen. Es geht stattdessen um das dunkelste Kapitel der österreichischen Geschichte. "Wisst ihr, wo Rabbi Schneier geboren wurde?", hat die Lehrerin zuvor schon die Kinder nach dem Gastgeber Van der Bellens an diesem Tag in der Park-East-Synagoge gefragt. Sie sind sich nicht ganz sicher. Österreich oder Ungarn? Die Verwirrung hat einen Grund: Arthur Schneier wurde zwar 1930 in Wien geboren, floh aber 1938 nach Ungarn, wo er in Verstecken den Holocaust überlebte. Später emigrierte er in die USA, seit 1962 leitet er das Gotteshaus in der Upper East Side, auf dessen Gelände sich auch eine Schule befindet.

Von der Vergangenheit nicht lähmen lassen

Es dauert nicht lange, bis Rabbi Schneier in seiner kurzen Rede darauf zu sprechen kommt. Er erinnere sich noch gut an die Schiffschul in der Großen Schiffgasse in zweiten Wiener Gemeindebezirk, sagt er. Jene Synagoge, die er im Kopf habe, gebe es dort aber nicht mehr, sie sei 1938 bei den Novemberpogromen zerstört worden. Viele Freunde und Verwandte seien später, während des Holocaust, von den Nazis ermordet worden. "Wir müssen an die Vergangenheit erinnern, dürfen uns aber nicht von ihr lähmen lassen", betont er dann aber auch. Österreich sei heute ein anderes Land, "ein Ort der Versöhnung, Teil der EU und aktuell sogar Vorsitzland".

Darüber hatte er zuvor auch mit Van der Bellen gesprochen, der gemeinsam mit Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) die Reise zur Uno-Generalversammlung in New York nutzte, um die Synagoge zu besuchen. Weitere Themen seien die politische Lage vor der EU-Wahl in Österreich und Europa, die Situation am Westbalkan und die österreichisch-amerikanischen Beziehungen gewesen, heißt es. Und auch, was Österreich gegen den Antisemitismus unternehme, war besprochen worden.

Ausgezeichnet für Versöhnung

Dieser, sagt Van der Bellen danach vor den Schülerinnen und Schülern, sei in Österreich zum Glück nicht gesellschaftlich akzeptiert, auch wenn man natürlich wachsam sein müsse, weil es noch immer gelegentlich antisemitische Äußerungen gebe, etwa in sozialen Netzwerken. Und freilich, räumt der Präsident ein, habe es lange gedauert, bis sich das Land dazu bekannt habe, dass 1938 nicht nur Deutsche, sondern auch viele Österreicher an den Novemberpogromen teilgenommen hätten, dabei alle Synagogen außer einer zerstört, Menschen angegriffen und dabei ausgelacht hätten. Das Österreich von heute sei aber natürlich "nicht das Österreich von 1938".

Rabbi Schneier, der in der Synagoge auch schon Papst Benedikt XVI. und Ex-UN-Generalsekretär Ban Ki-moon empfangen hatte, hat Österreich übrigens immer wieder besucht. 1996 wurde ihm dabei der Karl-Renner-Preis verliehen, 2010 das Goldene Ehrenzeichen Wiens. Wegen seiner Arbeit an Versöhnung und an dem Dialog der Religionen gründete er 1965 auch die Appeal of Conscience Foundation. Dafür zeichnete ihn außerdem 2001 Präsident Bill Clinton an einem seiner letzten Amtstage mit der Presidential Citizens Medal aus. (Manuel Escher aus New York, 28.9.2018)