London – Die Briten würden Umfragen zufolge in einem neuen Referendum nicht mehr für den Brexit stimmen. Eine Auswertung von sechs seit dem 21. August gemachten Erhebungen ergab eine knappe Mehrheit von 52 zu 48 Prozent für einen Verbleib in der EU. 2016 hatte eine knappe Mehrheit für den Austritt gestimmt. Der Vorsprung der Brexit-Gegner beruht laut Forschern vor allem auf den Stimmen derjenigen, die 2016 gar nicht gewählt hatten.

London und Brüssel verhandeln hart über die Modalitäten der Trennung. Premierministerin Theresa May hat einen Plan vorgelegt, der sowohl von der EU als auch von ihren innerparteilichen Gegnern kritisiert wird. Sie schließt jedoch ein zweites Referendum aus – anders als die oppositionelle Labour-Party, die sich dafür offen zeigt.

Johnson kritisiert May scharf

Ex-Außenminister Boris Johnson hat Mays Brexit-Kurs unterdessen heftig kritisiert und einen alternativen Austrittsplan vorgelegt. Sein Vorstoß in einem Gastbeitrag für den "Daily Telegraph" kommt kurz vor dem viertägigen Parteitag der Konservativen, der am Sonntag beginnt.

Er dürfte als Herausforderung im Kampf um den Posten des Premiers gedeutet werden. Den sogenannten Chequers-Deal, mit dem May Grenzkontrollen zwischen Großbritannien und der EU nach dem Brexit verhindern will, bezeichnet Johnson als "moralische und intellektuelle Erniedrigung". Die Verhandlungsführung sei "rückgratlos".

Kritik an Schlussrechnung

London habe sich in den Brexit-Gesprächen von der EU vorführen lassen, kritisiert Johnson. Die vorgezogene Wahl im vergangenen Jahr, bei der May ihre Regierungsmehrheit verlor, sei ein großer Fehler gewesen. Am schlimmsten sei aber, dass die Regierung es versäumt habe, eine Vision für den EU-Austritt zu entwickeln, und keine Vorbereitungen für einen Austritt ohne Abkommen am 29. März 2019 getroffen habe.

Schwere Vorwürfe macht Johnson der Regierungschefin auch wegen deren Entscheidung, der EU die Zahlung einer milliardenschweren Schlussrechnung in Aussicht zu stellen und grundsätzlich einer Notfalllösung zuzustimmen, mit der eine feste Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland vermieden werden soll.

Als Alternative schlägt Johnson schlug vor, einen erweiterten Freihandelsvertrag mit der EU nach dem Vorbild des Abkommens zwischen der EU und Kanada abzuschließen. Als Druckmittel, um ein "Super-Kanada-Handelsabkommen" zu bekommen, solle London die Zahlung der Abschlussrechnung infrage stellen. Grenzkontrollen in Irland will Johnson durch technische Lösungen verhindern. Notwendige Kontrollen könnten abseits der Grenze stattfinden. (APA, dpa, Reuters, 28.9.2018)